Wolfgang Schäuble gerät zum neuen Feindbild der Griechen

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Er ist zum Inbegriff des Sparkurs-Verfechters geworden. In den vergangenen Wochen agierte er selbst für Angela Merkel zu verbissen.

Wien. Die einen können nun behaupten, er hat mit allem recht gehabt, die anderen aber werden ihn mitverantwortlich für das Chaos in Griechenland machen. Es ist eine Frage der Perspektive. Ein wachsender Teil der griechischen Bevölkerung sieht jedenfalls im deutschen Finanzminister, Wolfgang Schäuble, dieser Tage einen, der für ihr Desaster Schuld trägt. „Ich werde mir nicht von Herrn Schäuble die Erlaubnis für eine Volksabstimmung einholen“, polterte der griechische Ministerpräsident, Alexis Tsipras, am Wochenende vor dem Parlament und bediente damit eben dieses Feindbild.

In Wahrheit ist Wolfgang Schäuble in den vergangenen Wochen in die Rolle des verbitterten Sparkurs-Verfechters eher hineingeschlittert, als dass er sie mit Absicht übernommen hätte. Er sprach mehrfach aus, was andere dachten, und das nicht immer mit diplomatischer Distanz. Während EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schon eine Annäherung sah, Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, in Athen den Willen zu einer Lösung ortete, während Währungskommissar Pierre Moscovici die griechischen Vorschläge gar als „gute Arbeitsgrundlage bezeichnete“, zerfetzte Schäuble jedes neue Papier aus Athen in der Luft. „Keine Grundlage für weitere Verhandlungen“, sah er am vergangenen Samstag.

„Nicht sehr optimistisch“ äußerte er sich am Donnerstag davor. „Ich sehe nicht, wie wir ohne substanzielle Vorschläge den Euro-Gipfel vorbereiten sollen“, polterte er zu Beginn der Woche. „Ich bin skeptisch“, erklärte er am Freitag davor. Keine einzige optimistische Äußerung des deutschen Finanzministers ist in diesen Tagen dokumentiert.

Schäuble vertritt das größte Euroland, das auch die größte Last an Haftungen für Griechenland übernommen hat. Er selbst hat stets in Abrede gestellt, dass Deutschland deshalb eine Führungsrolle übernehmen sollte. In einem Gastkommentar für die „Süddeutsche Zeitung“ versicherte er im Juli 2013, Deutschland wolle nicht die Lösung in der Eurokrise diktieren. Dies verbiete sich schon wegen seiner schuldbelasteten Geschichte.

Doch Schäuble, der einst für Bundeskanzler Helmut Kohl die deutsche Wiedervereinigung organisierte, der seit 43 Jahren Mitglied des Bundestags ist, wurde von seinen Euro-Amtskollegen gern als Scharfmacher in der Griechenland-Frage genutzt. Er las dem aus Athen angereisten Finanzminister Yanis Varoufakis nicht bloß einmal die Leviten, versuchte dem selbstbewussten Wirtschaftstheoretiker auf den Boden der Sachpolitik zu holen. Zuletzt war das Verhältnis der beiden so zerrüttet, das die Aversionen in jeder Verhandlungsrunde zutage traten. Selbst seiner Partei- und Regierungschefin, Angela Merkel, agierte Schäuble mittlerweile zu verbittert. Sie versuchte ihn laut Berliner Regierungskreisen schon vor Wochen davon abzuhalten, das Scheitern der Verhandlungen bewusst einzukalkulieren.

Aber Schäuble pokerte weiter mit eben dieser Drohkulisse. Er kennt aufgrund seiner langjährigen Erfahrung die Brüsseler Vorgänge besser als jeder andere. Er selbst hat die mittlerweile mächtige Euro-Gruppe sowohl strukturell wie personell mitgestaltet. Er weiß, welcher Druck bei den Amtskollegen hilft, welcher notwendig ist. Im Fall von Griechenland fand er jedenfalls auch kein Rezept. „Das ist kein guter Tag“, zeigte sich Schäuble nach dem Scheitern der Gespräche enttäuscht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.06.2015)

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