„EU-Armee ist riskante Idee“

Contra EU-Armee. Die meisten Mitgliedstaaten wollen ihre Souveränität nicht aufgeben.

Wien. Die Eigenständigkeit bei Sicherheits- und Verteidigungsfragen bleibt für viele EU-Mitgliedstaaten auch in turbulenten außenpolitischen Zeiten oberstes Gebot. Zögerlich bis ablehnend reagieren viele Regierungen deshalb seit jeher auf die immer wieder aufkeimende Idee einer gemeinsamen europäischen Armee.

Das wichtigste Argument der Gegner: Die Sicherheitspolitik und das Kommando über die eigenen Streitkräfte darf nicht aus der Hand gegeben werden. „Die Verteidigung hat durch die Nationalstaaten zu erfolgen und nicht über Brüssel-Diktat“, richtete David Cameron der Kommission und seinen EU-Partnern bereits 2013 aus – und an dieser Position hat sich bis heute nichts geändert. Das Selbstbestimmungsrecht bei der Landesverteidigung steht für das Vereinigte Königreich ganz oben. Doch nicht nur London vertritt diesen Standpunkt: Als zuletzt Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Idee einer europäischen Armee ventiliert hat, war es vor allem Polen, das sich vehement dagegen gewehrt hat. Dies sei eine „sehr riskante Idee“, mahnte Außenminister Grzegorz Schetyna. Zudem seien zahlreiche Fragen unbeantwortet: „Wo soll das Geld herkommen, um eine derartige Armee zu finanzieren? Wie werden die Kampfeinheiten funktionieren? Wer wird ihre Ausbildung sicherstellen?“ Statt einer EU-Armee müsse die Nato als Sicherheitsgarant für Europa noch mehr gestärkt werden.

Dopplung der Nato-Strukturen?

Das baltische EU-Mitglied Lettland wiederum führt ins Treffen, dass das Vorhaben einer EU-Armee womöglich eine Dopplung der Nato-Strukturen bedeuten könne. Bis auf Schweden, Finnland, Österreich, Malta, Zypern und Irland sind heute alle 28 Mitgliedstaaten der EU auch Mitglieder der internationalen Organisation. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht das ähnlich. Das Verteidigungsbündnis blickt deshalb schon lang mit Argwohn auf die noch wenig konkreten Pläne in Brüssel. Erst jüngst warnte Stoltenberg im militärischen Nato-Hauptquartier im belgischen Mons, die EU müsse darauf achten, Redundanzen zu vermeiden. Freilich sei es aber „an Brüssel zu entscheiden, wie es die Kooperation in Sicherheits- und Verteidigungsfragen organisiert.“ Insgeheim fürchtet die Regierung in Washington freilich, im Fall einer engeren Zusammenarbeit der EU-Streitkräfte Kontrolle und Einfluss über Europa zu verlieren.

Österreichs Sonderrolle

Auch die unmittelbare politische Gemengelage vor den Toren Europas lässt in vielen Hauptstädten die Alarmglocken schrillen: So wollen besonders traditionell Moskau-freundliche EU-Mitgliedstaaten durch den Aufbau einer EU-Armee ungern das Signal für eine weitere Eskalation mit Russland geben.

Österreich nimmt als neutrales Land in der gesamten Debatte eine Sonderrolle ein – ist doch gar nicht sicher, ob und wie sich heimische Soldaten an einer gemeinsamen EU-Armee beteiligen könnten. Für Bundespräsident Heinz Fischer ist das „Schlagwort ohnehin noch nicht ausgegoren und ausdiskutiert“. Er glaubt aber nicht daran, dass eine „Armee mit einem Generalstab und Uniformen geschaffen wird, vergleichbar mit jener der Vereinigten Staaten von Amerika“. Stattdessen sei vorstellbar, dass die bereits bestehende Kooperation ausgebaut werde.

Während SPÖ-Politiker sich stets zurückhaltend zur Beteiligung Österreichs an einer gemeinsamen EU-Armee geäußert haben, hat sich die ÖVP weniger ablehnend positioniert: Österreich solle sich diesem Vorschlag nicht von vornherein entziehen, lautet das Credo in der Volkspartei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2015)

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