Warum es nicht zum Grexit kommt

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Der Varoufakis-Rücktritt und ein neuer Vorschlag sollen die Euro-Gruppe versöhnen.

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“: Schon oft hat sich Hölderlins Dichterwort in der Realität bewährt. Vielleicht auch in der Krise um Griechenland. Alle Akteure stehen mit dem Rücken zur Wand, und gerade das könnte zu einer neuen, unerwarteten Lösung führen. Es ist die Stunde der hohen Politik. Die EZB sieht sich nicht legitimiert dazu und will den Stecker nicht ziehen. Die Entscheidung liegt damit bei den Staats- und Regierungschefs, die heute zusammenkommen. An ihrer Spitze steht Angela Merkel. Die deutsche Kanzlerin will nicht als Totengräberin des Euro in die Geschichte eingehen – und wäre vielleicht auch zu einem harten Ringen mit ihrer eigenen Partei bereit.

In einem Punkt waren sich Merkel und der griechische Premier Tsipras bei einem Telefonat am Montag einig: Ein neuer Vorschlag muss – zumindest offiziell – von den Griechen kommen. Anders wäre es ohne völligen Gesichtsverlust der Geldgeber nicht denkbar: Sie hatten betont, wie weit sie Athen entgegengekommen sind. Dennoch hatte die griechische Regierung die Verhandlungen abgebrochen, ein Referendum angesetzt und gegen die Auflagen Stimmung gemacht. Also muss nun Tsipras erklären, wie er sich ein alternatives drittes Hilfspaket vorstellt. Geht er nun auf die Geldgeber zu? Seine Rede nach dem Referendum klang konzilianter als zuletzt. Auch dass Finanzminister Varoufakis auf Geheiß von Tsipras am Montag zurücktrat, deutet in diese Richtung. Mit Varoufakis hätten sich die Geldgeber, die er sinngemäß als Terroristen bezeichnet hat, nicht mehr an einen Tisch gesetzt.

Wo aber könnten neue Verhandlungen ansetzen? Womöglich ausgerechnet dort, wo die Eurostaaten bisher das größte Tabu sahen: bei einem Schuldenschnitt. Diesen hat der IWF in der Vorwoche erneut ins Spiel gebracht. Obwohl sich die „Schuldentragfähigkeit“ nach dem Bericht erst seit dem Wahlsieg von Syriza massiv verschlechtert hat, jubelte die Regierung über den Rückenwind aus Washington. Die Euro-Gruppe tut sich schwer, das vom Tisch zu wischen. Gegenüber den Steuerzahlern könnte sie argumentieren: Besser ein (kleiner) Haircut als der unmittelbar drohende Totalverlust bei einem Grexit.

Haircut für Strukturreformen?

Und die Reformen als Gegenleistung? Um Rentenkürzungen und Steuererhöhungen für die breite Masse dürfte es nach dem Referendum nicht mehr gehen. Andererseits heißt es immer wieder, wie nah man beim zweiten Hilfspaket einer Lösung schon gekommen war – und rational läuft in dieser Krise vieles nicht mehr ab. Vor allem aber gibt es ein breites, brachliegendes Feld an Reformen, die Europas Verhandler händeringend eingefordert haben, weil sie auch mit der linken Ideologie der Syriza-Partei verträglich wären: eine verbesserte Eintreibung von Steuern, vor allem auch bei den Reichen, der Aufbau eines Katasters, Bekämpfung der Korruption.

Natürlich sind das Veränderungen von Strukturen, die Zeit brauchen – und Geld braucht Athen ganz dringend. Also könnte es nur um vage Absichtserklärungen gehen, einen ungedeckten Scheck auf die Zukunft. Angesichts des zerschlagenen Porzellans und des zerstörten Vertrauens erscheint eine Einigung auf solcher Basis schwer vorstellbar. Aber es geht um die Rettung der Eurozone, wie wir sie kennen – und darum, dass keine Seite ganz ihr Gesicht verliert.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2015)

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