Die Lateinamerika-Connection: Wie Chávez & Co. Tsipras prägen

(c) REUTERS (Carlos Garcia Rawlins)
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Linkspopulismus: Die Inspiration für Südeuropa kommt aus Südamerika.

Wien. Das Che-Porträt in seinem Büro hat Alexis Tsipras zwar inzwischen gegen das Bildnis zweier Stiere ausgetauscht. Das Faible des griechischen Premiers für Che Guevara, die Lieblingsrevolutionsikone der Linken, lebt indessen im zweiten Vornamen seines jüngsten Sohnes fort: Ernesto – eine Reverenz an den argentinischen Mitstreiter Fidel Castros.

Kubas 88-jähriger Ex-Diktator war elektrisiert vom Triumph des Syriza-Chefs beim Referendum in Griechenland. Im Parteiorgan „Granma“ gratulierte er dem 40-Jährigen zu einem „brillanten politischen Sieg“: „Ihr Land ruft bei den Völkern Lateinamerikas und der Karibik Bewunderung hervor.“ Griechenland hätte seine Identität und Kultur gegen „Aggressionen von außen“ verteidigt, schwelgte der altgediente Revolutionär im Pathos. Ähnliche Solidaritätsadressen langten aus ganz Lateinamerika ein – von Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner, von Evo Morales aus Bolivien, von Daniel Ortega aus Nicaragua, und von Nicolás Maduro aus Venezuela.

Als vor zwei Jahren Hugo Chávez, Maduros Mentor und Vorgänger, starb, pilgerte Tsipras zu dessen Begräbnis nach Caracas. Chávez hatte sich zu einer Galionsfigur der extremen Linken stilisiert, zugleich strahlte sein Einfluss als Inspirationsquelle bis nach Südeuropa aus. Lateinamerikanische Führer wie Chávez, Morales, Rafael Correa aus Ecuador und Kirchner hatten sich gegen die Übermacht der USA und zum Teil auch gegen den ökonomischen Druck des Internationalen Währungsfonds gestemmt und so ein Exempel für die neuen Linksbewegungen in Athen und Madrid statuiert – ein Studienobjekt für den Widerstand gegen die Austeritätspolitik der EU und der Europäischen Zentralbank.

Der Linkspopulismus in Lateinamerika hat sich an der Hegemonialpolitik des US-Präsidenten Ronald Reagan in den 1980er-Jahren und an einer neoliberalen Wirtschaftspolitik entzündet. Als Gegenreaktion spülte die Unzufriedenheit über die Negativeffekte der Privatisierungswelle der 1990er-Jahre linke Politiker an die Macht – und stieß insbesondere bei den Globalisierungskritikern im Westen auf ein großes Echo.

Die theoretische Grundierung für den lateinamerikanischen Linkspopulismus lieferte unter anderem der im Vorjahr verstorbene argentinische Polit-Philosoph Ernesto Laclau. Statt den Klassenkampf zu predigen postulierte der Postmarxist den Slogan von der radikalen Demokratie und der kulturellen Hegemonie im Kampf gegen die alten Eliten. Vom argentinischen Präsidenten Juan Perón kupferte Laclau den Populismus als Dynamo für eine erfolgreiche Politik ab. Laclau agierte schließlich auch als Berater der Linksperonistin Cristina Kirchner, und an der Universität im britischen Essex – seiner Stamm-Uni – zählte Yanis Varoufakis zu seinen Schülern.

Wahlkampfhilfe aus den Anden

Nach und nach fiel die Philosophie Laclaus auch in Europa auf fruchtbaren Boden. Das linke Netzwerk zwischen Lateinamerika und Südeuropa brachte Berater aus Bolivien und Ecuador nach Athen, die Syriza als Ideenlieferanten auch im Wahlkampf unterstützten. Die Agitation gegen das Feindbild Deutschland – vor allem gegen Finanzminister Wolfgang Schäuble – folgt einem erprobten Muster gegen „böse Yankees“ à la George W. Bush.

In Spanien setzte sich derweil ein Vordenker der Indignados-Bewegung, die später in der Partei Podemos (Wir können) aufging, mit dem lateinamerikanischen Modell auseinander. Juan Carlos Monedero, der Politologieprofessor und Chefideologe, hat sich lang zu Studienzwecken in Südamerika herumgetrieben. „Wir wollen nicht raus aus Europa, sondern ein anderes Europa“, lautet sein Credo, das sich mit dem von Syriza deckt.

In Griechenland hat die jahrzehntelange Dominanz des dualen Systems aus Konservativen und Sozialdemokraten einstweilen ausgedient, und auch in Spanien haben die beiden Volksparteien das Land in die Krise manövriert. Unter ihrem Anführer, Pablo Iglesias, einem 36-jährigen Politologen, eifert Podemos – ein Sammelsurium linker und linkslinker Gruppen wie Syriza – bei den Parlamentswahlen im November dem griechischen Vorbild nach. Bei mehreren Auftritten in Athen suchte Iglesias schon den Anschauungsunterricht bei Tsipras und Co.

Auch Gregor Gysi, Kopf der deutschen Linkspartei, sonnte sich im Glanz des griechischen Lokalmatadors, der der EU die Stirn bietet und selbst zu einer Ikone der neuen Linken avancieren könnte. Jetzt, da Venezuela selbst vor dem Kollaps steht, da der Fortschritt in Bolivien und Ecuador erlahmt ist und da Linkspolitiker auf dem Kontinent abtreten oder diskreditiert sind, beflügelt Alexis Tsipras die politische Fantasie im Süden Amerikas von der Karibik bis nach Feuerland.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.07.2015)

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