Alexis Tsipras gab im Fernsehen bekannt, dass er seinen Posten als Regierungschef räumt. Am 20. September sollen die Griechen ein neues Parlament wählen.
Einem Bienenstock gleich umschwärmten am Donnerstag Kader des regierenden radikalen Linksbündnisses (Syriza) den Amtssitz des griechischen Premierministers und Syriza-Chefs, Alexis Tsipras. Wahlen lagen in der Luft, und alle hatten eine Meinung, eine Statistik oder einen Wahlkampfslogan beizutragen.
Premier Tsipras hat nach der Auszahlung der ersten Kredittranche des dritten griechischen Hilfsprogramms endlich freie Hand, Entscheidungen zu treffen. Und wie eine der wichtigsten dieser Entscheidungen aussieht, verkündete er nach einem Tag voller Gerüchte dann am Donnerstagabend im griechischen Fernsehen: Tsipras gab bekannt, als Regierungschef zurückzutreten. Damit macht er den Weg für Neuwahlen frei, die wahrscheinlich am 20. September stattfinden werden.
Zweite Wahl in einem Jahr
Es sind bereits die zweiten Parlamentswahlen in diesem Jahr. Das griechische Volk müsse nun entscheiden, ob es das Vorgehen seiner Regierung bei den Verhandlungen mit den Gläubigern gutheiße, sagte Tsipras in der Fernsehrede. Und er stellte klar, dass er bei dem Urnengang erneut antreten werde. Das Mandat, das er mit seinem Wahlsieg am 25. Jänner erhalten habe, habe seine Grenzen erreicht - die Menschen müssten nun aufs Neue entscheiden, sagte Tsipras . Der Rücktritt ist notwendig, weil die Verfassung dies für Neuwahlen voraussetzt.
Da die Regierungskoalition aus Syriza und Unabhängigen Griechen (Anel) nach dem Absprung von 42 Syriza-Abgeordneten nicht mehr über eine absolute Mehrheit im 300-köpfigen Parlament verfügt, schien ein schneller Urnengang für den in der Bevölkerung nach wie vor beliebten Politiker die beste Lösung zu sein. Für die Wirtschaft verträglichere Lösungen wie eine Allparteienregierung kommen für den machtbewussten Premier offensichtlich nicht infrage. Zurzeit regiert er mehr oder weniger als Chef einer Minderheitsregierung, denn die letzten Sparpakete konnten nur mithilfe der Opposition durchgebracht werden.
Tsipras führt in den Umfragen
Die parteiinterne Opposition der „Linken Plattform“ von Panagiotis Lafazanis hat die baldige Neuwahl als „undemokratisch“ kritisiert. Diese neue „Drachme-Partei“ ist erst im Entstehen. Eine Wahl bereits im September kommt für sie ungelegen. Bei einer Zustimmung von 80 Prozent der Bevölkerung für die Beibehaltung des Euro hat sie ohnehin nur ein begrenztes Wählerreservoir. Unmittelbare Konkurrenten für die neue Partei wären die griechischen Kommunisten und die neonazistische Goldene Morgenröte.
Tsipras kann, wenn man Umfragen von Ende Juli Glauben schenkt, mit 34 Prozent der Stimmen rechnen, bei einem Vorsprung von gut 15 Prozent auf die Konservativen, die derzeit mehr oder weniger führungslos sind. Mit Evangelos Meimarakis wird die Nea Dimokratia nämlich von einem Interimspräsidenten geleitet. Ex-Premier Antonis Samaras war nach der Niederlage bei der Volksabstimmung am 5. Juli zurückgetreten.
Es gibt aber noch andere Gründe für schnelle Wahlen: Die neue Regierung kann bereits im Oktober mit frischem Mandat über eine Schuldenstreckung verhandeln und schwierige Gesetzesvorlagen mit erneuerter Mehrheit – ohne Abhängigkeit von Stimmen der Opposition – beschließen. Auffallend ruhig haben jedenfalls die Gläubiger auf die Neuwahlpläne reagiert. Sie wissen, dass mit großer Wahrscheinlichkeit eine proeuropäische Regierung ans Ruder kommen wird. Die zentrale Frage des Urnengangs wird allerdings sein, wie groß das antieuropäische Lager nach dem harten, letzten Sparprogramm sein wird – vor allem nach dem Zerfall der größten Anti-Sparpartei, Syriza.
23 Milliarden bringen Atempause
Die erste Kredittranche von 23 Milliarden Euro gibt Tsipras nicht nur die Möglichkeit für Wahlen, sie rettet auch Griechenlands Wirtschaft vor dem Kollaps. Zwölf Milliarden sind für Rückzahlungen an Gläubiger wie die Europäische Zentralbank (EZB), die am Donnerstag eine Tranche von 3,2 Milliarden erhielt, und an den Internationalen Währungsfonds (IWF) vorgesehen. Eine Milliarde geht an die öffentliche Hand, vor allem zur Tilgung von Schulden bei griechischen Lieferanten. Zehn Milliarden sind für die Rekapitalisierung der griechischen Banken vorgesehen.
Das ist ein wichtiges Signal an die Sparer, ihre Gelder wieder auf ihren Sparbüchern zu deponieren – das wiederum könnte ein schnelles Ende der Kapitalkontrollen bedeuten. Wie viel Geld die Banken insgesamt benötigen werden, ist allerdings unklar. Das hängt vor allem vom kommenden Stresstest der EZB und der Höhe der faulen Kredite in den Büchern ab. Ein großer Teil der insgesamt 86 Milliarden Euro des Rettungspakets, etwa 47 Milliarden, wird bereits 2015 ausbezahlt werden – wenn die Griechen die entsprechenden Gegenleistungen erfüllen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.08.2015)