Mazedonien: Blendgranaten gegen Flüchtlinge

FYROM EUROPE MIGRATION CRISIS
FYROM EUROPE MIGRATION CRISISAPA/EPA/NIKOS ARVANITIDIS
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Nach einer völligen Öffnung der Grenze gehen mazedonische Sicherheitskräfte nun mit aller Härte gegen Asylwerber vor.

Skopje. Blut, Explosionen und Tränen: Dramatische Szenen spielten sich am Freitag an Mazedoniens Grenze zu Griechenland unweit von Gevgelija ab. Als im Niemandsland gestrandete Flüchtlinge die Grenze zu stürmen suchten, setzte die mazedonische Polizei nicht nur Tränengas ein. „Sie schießen auf uns, sie schießen!“, riefen bestürzt zurückweichende Menschen, als direkt in die Menge gefeuerte Blendgranaten detonierten. Mindestens vier Flüchtlinge wurden durch Splitter verletzt. Ein Polizist soll laut Agenturberichten bei einer Personenkontrolle von einem der Zuwanderer im Grenzgebiet niedergestochen worden sein.

Völlig überraschend hatte Mazedoniens Regierung am Vortag mit der Begründung der stark ansteigenden Flüchtlingszahlen den Ausnahmezustand ausgerufen – und die Südgrenze zu Griechenland hermetisch abgeriegelt: Rund 3000 im Niemandsland festsitzende Flüchtlinge blockieren seitdem die Schienen der internationalen Eisenbahnstrecke von Thessaloniki nach Skopje. Erst Mitte Juni hatte Mazedonien mit der Verabschiedung eines neuen Asylgesetzes die Grenzen für Transit-Migranten auch mit Verweis auf humanitäre Gründe praktisch komplett geöffnet: Zehntausende Flüchtlinge konnten das Land auf ihrem Weg nach Mitteleuropa in den letzten beiden Monaten per Zug in nur wenigen Stunden passieren.

Nun die Kehrtwende: Am Freitag patrouillierten hinter ausgerollten Stacheldrahtrollen Spezialeinheiten der Polizei mit Maschinenpistolen. Eine Gruppe von einhundert Flüchtlingen, denen in der Nacht der Grenzübertritt gelungen war, wurde laut Bericht eines Mitarbeiters der Hilfsorganisation Legis kurzerhand wieder abgeschoben: „Sie hätten von der Polizei eine Registrierung als Asylsuchende erhalten müssen. Aber sie wurden einfach in die Polizeiwagen gesetzt – und nach Griechenland zurückgefahren.“

Auffällig wortkarg reagierte am Freitag zunächst die EU auf Mazedoniens Grenzblockade, die sie weder kritisierte noch begrüßte. Die Kommission wisse um die Ausrufung des Notstands, so Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn: Brüssel sei „weiter bereit“, Mazedonien humanitäre Hilfe zu gewähren.

Deutlicher äußert sich das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR). Es kritisierte die Grenzschließung mit klaren Worten. „Diese Flüchtlinge sind auf der Suche nach Schutz und dürfen davon nicht abgehalten werden“, sagte Sprecherin Melissa Fleming. Jasmin Redzepi von der Flüchtlingshilfsorganisation Legis spricht von einer „übereilten und ungerechtfertigten“ Maßnahme. Als Grund vermutet sie die Forderung der mazedonischen Regierung nach mehr Hilfsmitteln: „Mit den neuen Maßnahmen wird auf die EU Druck ausgeübt, mehr Mittel zur Lösung der Flüchtlingsprobleme bereitzustellen.“

Ablenkungsmanöver?

Mit außen-, aber auch innenpolitischen Gründen erklärt der Analyst Fejzi Hajdari in Skopje den plötzlichen Kurswechsel in der mazedonischen Asylpolitik. Einerseits versuche die Regierung mit der Schließung der Grenzen für die Flüchtlinge mehr Mittel und Hilfe von der EU zu erzwingen. Andererseits sei Premier Nikola Gruevski „ein Meister“ in der Kunst, mit überraschenden Manövern die Aufmerksamkeit der heimischen und internationalen Öffentlichkeit von seinen eigenen Problemen abzulenken, so Hajdari: „Der Druck der EU ist groß, dass das im Juni erzielte Abkommen der Regierung mit der Opposition zur Vorbereitung von Neuwahlen auch umgesetzt wird.“

AUF EINEN BLICK

Kehrtwende. Nachdem Mazedonien zwei Monate lang Flüchtlinge ohne Einschränkung in den Norden hatte weiterreisen lassen, sperrte es nun die Grenze zu Griechenland hermetisch ab und rief den Ausnahmezustand aus. Die Polizei ging mit Tränengas und Blendgranaten gegen Flüchtlinge vor. Mehrere Personen wurden verletzt. Auch ein Polizist wurde von Zuwanderern mit dem Messer attackiert. Das UN-Flüchtlingshochkommissariat warnt vor einem Bruch der Genfer Flüchtlingskonvention.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2015)

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