Woran die EU in der Flüchtlingsfrage scheitert

Angela Merkel appelliert an die EU-Staaten:
Angela Merkel appelliert an die EU-Staaten: "Drei oder vier von 28 können nicht die ganze Last tragen."(c) APA/EPA/IAN LANGSDON
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Schuldzuweisungen und Egoismus prägen die EU-Staaten beim Ringen um eine Lösung in der Flüchtlingsfrage. Die Kommission steht vermehrt unter Druck.

Es ist ein beliebtes Phänomen in der Politik; eine täglich zur Schau gestellte Gepflogenheit: die Frage der Schuld an den Gegner abzuwälzen, anstatt selbst für einen Missstand einzustehen. In der Flüchtlingskrise offenbart sich dieses Phänomen in besonders drastischer Weise; nur wird dabei oft auf eines vergessen: Es gibt keinen politischen Gegner, dessen Schwächung die eigene Position stärkt. Eine umfassende Lösung kann nur in solidarischer Zusammenarbeit aller Akteure gefunden werden. Angela Merkel hat es am Dienstag bei einem Treffen mit deutschen Bürgern so formuliert: "Drei oder vier von 28 können nicht die ganze Last tragen." Auch das UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) mahnt Solidarität in der EU ein.

Auf EU-Ebene ist eine Lösung bisher nicht gelungen. Die Erklärung dafür ist simpel: Viele Staats- und Regierungschefs sind nach wie vor dem Denken in nationalen Kategorien verhaftet – und wollen bei einem so sensiblen Thema keine Minuspunkte beim Wahlvolk sammeln. Die rationale Betrachtung zeigt auch, dass die existenziellen Fragen, denen die Europäische Union sich ausgesetzt sieht, oft in Berlin oder Paris entschieden werden – nicht aber in Brüssel. Kurz gesagt: Wenn die Mitgliedstaaten nicht an einem Strang ziehen, sind die Initiativen der EU-Kommission Makulatur.

Der UNO-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte von Migranten warf der EU am Dienstag eine verfehlte Flüchtlingspolitik vor. "Zäune zu errichten, Tränengas einzusetzen und andere Formen der Gewalt gegen Migranten und Asylsuchende, Festnahmen und die Verweigerung des Zugangs zu Obdach, Nahrung oder Wasser sowie Drohungen und Hassreden werden Migranten nicht davon abhalten, nach Europa zu kommen oder dies zu versuchen", sagte er laut einer Mitteilung der UNO und forderte eine EU-Migrationspolitik.

EU-Staaten scheiterten an Quote

Vergangenen Mai präsentierte der für Migration zuständige Innenkommissar, der Grieche Dimitris Avramopoulos, die Migrationsagenda – ein Papier, das die gemeinsamen Ziele der Union in der Flüchtlingspolitik festlegen soll. Darin enthalten sind Vorhaben wie ein fixes Quotensystem, die Verdreifachung der Mittel für die Missionen der Grenzschutzagentur Frontex im Mittelmeer, ein entschiedeneres Vorgehen gegen das Schlepperwesen, mehr legale Einreisemöglichkeiten für Schutzbedürftige, eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern sowie die Installierung von EU-finanzierten Asylbüros an den Außengrenzen. Doch eine Einigung in der besonders kontroversiellen, wenngleich drängenden Frage nach einem festen Verteilungsschlüssel der Zuwanderer auf die 28 EU-Mitglieder scheiterte bei einem EU-Gipfel im Juni.

Nun werden die Rufe nach einem eigens einberufenen Ratstreffen, das das weitere Vorgehen festlegen soll, immer lauter. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker winkt ab: Die Vorschläge lägen auf dem Tisch, sagte er in einem Interview mit der „Welt“, nun müssten die Mitgliedstaaten handeln: „Wir brauchen einen starken europäischen Ansatz. Jetzt.“ Dem pflichtet auch Thomas de Maizière bei – doch Deutschlands Innenminister betrachtet die Frage der Verantwortung seitenverkehrt. Nach einem Treffen mit seinem französischen Amtskollegen, Bernard Cazeneuve, letzte Woche mahnte der CDU-Politiker mehr Eile an: „Es ist inakzeptabel, wenn die europäischen Institutionen in dem Tempo weiterarbeiten, wie sie das bisher tun“, konstatierte er. De Maizières CSU-Kollege, Gerd Müller, bezeichnete die „Zögerlichkeit“ der EU-Kommission in der „Bild“-Zeitung gar als „unerträglich“. Ein Sofortprogramm über zehn Milliarden Euro müsse her, um Notaufnahmezentren an den EU-Außengrenzen zu errichten.

Drohung mit Klage vor dem EuGH

Auch von österreichischer Seite sieht sich die Kommission mit Kritik konfrontiert. Mitte vergangener Woche kündigten Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und Justizminister Wolfgang Brandstetter (beide ÖVP) an, notfalls vor dem EuGH gegen die Behörde vorzugehen, weil das geltende Dublin-III-System dem in den Verträgen festgeschriebenen Grundsatz der „Solidarität und gerechten Aufteilung der Verantwortlichkeit“ nicht gerecht werde. Eine Stellungnahme des Verfassungsdienstes im Bundeskanzleramt räumt einem solchen Vorgehen aber nur wenig Chancen ein.

Dass DublinIII (das System legt fest, dass ein Flüchtling in jenem Mitgliedstaat, in dem er zuerst europäischen Boden betritt, um Asyl ansuchen muss) nicht funktioniert, glauben auch Deutschlands Außenminister, Frank-Walter Steinmeier, und Vizekanzler, Sigmar Gabriel (beide SPD). Sie fordern u.a. – ähnlich wie Sebastian Kurz (ÖVP) in seinem am Wochenende vorgelegten Fünfpunkteplan – eine einheitliche Asylpolitik in Europa und die faire Verteilung der Flüchtlinge nach Quoten.

Die Kommission will nächsten Monat eine gemeinsame Liste sicherer Herkunftsländer vorlegen. Allerdings gab Juncker zu bedenken, dass eine derartige Initiative bereits vor neun Jahren von den Mitgliedstaaten als „Einmischung in ihre Kompetenzen“ zurückgewiesen worden sei. Die Bereitschaft zur gemeinsamen Lösungsfindung in der Flüchtlingspolitik war in der EU also schon damals enden wollend.

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