Grenzstreitigkeiten und die sensible Frage Kosovo

WESTBALKAN-KONFERENZ: UNTERZEICHNUNG GRENZVERTRAG ZWISCHEN BOSNIEN-HERZEGOWINA UND MONTENEGRO: VUJANOVIC / COVIC / KONJEVIC / CRNADAK
WESTBALKAN-KONFERENZ: UNTERZEICHNUNG GRENZVERTRAG ZWISCHEN BOSNIEN-HERZEGOWINA UND MONTENEGRO: VUJANOVIC / COVIC / KONJEVIC / CRNADAK(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Zwischen Südosteuropas Staaten gibt es nach wie vor eine Reihe von Konflikten.

Wien. Die frohe Botschaft kam für die Schirmherren der am Mittwoch und Donnerstag in Wien stattfindenden Westbalkan-Konferenz zur rechten Zeit. Nach einem zehnstündigen Verhandlungsmarathon glückte Kosovos Premier Isa Mustafa und dem serbischen Regierungschef Aleksandar Vučić am Dienstag ein Durchbruch bei dem von der EU forcierten Nachbarschaftsdialog: Sowohl in der Frage einer eigenen Telefonnummer für den Kosovo als auch hinsichtlich eines eigenen Verbundes der serbisch besiedelten Kommunen im Kosovo konnten die Regierungschefs eine Einigung erzielen. „Von einem „richtungsweisenden Erfolg“ sprach hernach zufrieden die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini. Ihre Erleichterung ist verständlich: Denn Erfolgsnachrichten sind im EU-Wartesaal im Südosten Europas rar gesät.

Dass die Regierungen in Belgrad und Prishtina überhaupt miteinander sprechen, ist ja bereits an sich ein Erfolg der EU-Politik der vergangenen Jahre. Denn Serbien erkennt nach wie vor die staatliche Unabhängigkeit des Kosovo nicht an – ein Konflikt, der weiterhin eines der größten Probleme in der Balkan-Region ist. Der Motor dafür, dass die Streitparteien trotzdem miteinander verhandeln: Sowohl Serbien als auch der Kosovo wollen Teil der EU werden.

Die ungelösten Konflikte in Südosteuropa stehen auch auf der Tagesordnung der Balkan-Konferenz in Wien. Für heute, Donnerstag, war die Verabschiedung einer gemeinsamen Deklaration geplant, deren Entwurf der „Presse“ vorliegt. Darin verpflichten sich die Regierungen der Balkan-Staaten, „alle offenen bilateralen Fragen im Geiste guter Nachbarschaft und dem gemeinsamen Bekenntnis zur Europäischen Integration zu lösen“. Und die Regierungen kommen überein, den Weg ihrer Nachbarn in Richtung Europäische Union nicht zu blockieren.

(C) DiePresse

Komplizierte Grenzziehung

Zu den schwierigsten Streitfragen in der Region zählt die Grenzziehung zwischen den Staaten, die aus Jugoslawiens einstigen Teilrepubliken oder im Falle des Kosovo aus einer autonomen Provinz hervorgegangen sind. Da alle diese Einheiten in der Zeit Jugoslawiens zum selben Staat gehörten, hatte man damals den exakten Trennlinien zwischen ihnen nicht immer so große Bedeutung zugemessen. Eine Studie des Balkans der Europe Policy Advisory Group, die am Mittwoch während der Wiener Balkan-Konferenz vorgestellt wurde, hält fest, dass es bisher nur zwischen Serbien und Mazedonien sowie zwischen dem Kosovo und Mazedonien eine völlige Übereinkunft über die gemeinsamen Grenzen gebe.

• Serbien – Kroatien. Die Diskussion zwischen beiden Ländern über den genauen Verlauf der Staatsgrenze ist nur ein Beispiel für die Grenzdispute in der Region. Betroffen sind dabei vor allem Gebiete entlang der Donau. Hier hatten Anfang der 1990er-Jahre schwere Gefechte zwischen kroatischen Truppen und serbischen Milizen, die von der jugoslawischen Armee unterstützt worden waren, getobt. Ein Umstand, der heute, mehr als 20 Jahre später, eine Lösung des Grenzstreites nicht einfacher macht.

Kroatien ist mittlerweile Teil der EU, Serbien hat von der Union den Kandidatenstatus erhalten. Kroatien könnte also theoretisch noch im Lauf der Beitrittsverhandlungen dem Nachbarn Steine in den Weg legen. In der gemeinsamen Deklaration von Donnerstag wurde aber versprochen, genau das nicht zu tun.

• Slowenien – Kroatien. Damit es keine Schwierigkeiten beim Beitritt Kroatiens zur EU gibt, hatten Ljubljana und Zagreb vereinbart, ihren Grenzstreit mit Hilfe eines internationalen Schiedsgerichts zu lösen. Slowenien ist bereits seit 2004 EU-Mitglied, Kroatien trat 2013 der Union bei. Gelöst ist der Grenzstreit aber nach wie vor nicht. Erst Ende Juli zog sich Zagreb unter Protest aus dem Schiedsverfahren zurück. Es warf einem der Richter vor, unbefugterweise Interna aus dem Verfahren an Ljubljana weitergegeben zu haben.

• Serbien – Kosovo. Zwischen Belgrad und Prishtina gibt es nicht einfach nur einen Streit um die Grenzziehung: Belgrad pocht nach wie vor darauf, dass der Kosovo Teil des serbischen Staates ist. Das Parlament in Prishtina erklärte 2007 nach internationalen Verhandlungen die Unabhängigkeit des Kosovo, die mittlerweile von mehr als 100 Ländern – darunter der Großteil der EU-Staaten – anerkannt worden ist. Belgrad und Prishtina haben die Frage des Status des Kosovo vorerst gleichsam beiseite gelegt und verhandeln unter Vermittlung der EU über die Lösung praktischer Fragen. Spätestens vor einem EU-Beitritt Serbiens wird aber die Statusfrage wieder aufs Tapet kommen. Denn dann wird es etwa darum gehen, mit welchem exakten Staatsgebiet Serbien Mitglied der Union wird.

• Mazedonien – Griechenland. Zwar hat Mazedonien bereits seit 2005 den Status eines EU-Beitrittskandidaten. Wegen des Streits mit Griechenland um den Staatsnamen Mazedonien blockiert Athen aber seither den Beginn von Beitrittsverhandlungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.08.2015)

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