Klimaschutz: EU marschiert im Gleichschritt nach Paris

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Umweltminister einigen sich in Brüssel auf Mandat für UN-Klimakonferenz in der französischen Hauptstadt. Die EU will sich dafür einsetzen, dass der globale Ausstoß von CO2 bis 2050 um mindestens 50 Prozent gesenkt wird.

Brüssel. Angesichts der vielen akuten Krisen, die die EU dieser Tage beschäftigen, ist es fast schon erstaunlich, dass die europapolitischen Entscheidungsträger überhaupt noch in der Lage sind, langfristige Pläne zu schmieden. Die Klimapolitik ist eine dieser Ausnahmen: Am gestrigen Freitag einigten sich die EU-Umweltminister in Brüssel auf Zielvorgaben zur Senkung der Kohlendioxid-Emission bis zum Jahr 2100. Dass diese auf den ersten Blick absurd anmutende Festlegung – schließlich sind es noch 85 Jahre bis zum Ende des Jahrhunderts – bereits jetzt erfolgt ist, hat einen triftigen Grund: Ende November beginnt in Paris die lang erwartete Klimakonferenz der Vereinten Nationen (COP21) – auf der es darum gehen wird, was die UN-Mitglieder gegen die Erderwärmung unternehmen wollen. Das Ziel der Weltgemeinde: einen Nachfolger für das abgelaufene Kyoto-Protokoll zu finden, damit die durchschnittliche Temperatur bis 2100 um nicht mehr als zwei Grad Celsius ansteigt.

Das gestern beschlossene Mandat – laut Umweltminister Andrä Rupprechter eine „gute Ausgangsbasis“ – sieht vor, dass der globale CO2-Ausstoß bis 2050 um mindestens die Hälfte gegenüber dem Niveau von 1990 reduziert wird, bis 2100 soll die Welt gänzlich ohne Kohlendioxid auskommen. Das bereits im Vorjahr für die EU fixierte Ziel, wonach bis zum Jahr 2030 die Emissionen um mindestens 40 Prozent verringert werden sollen, gilt aber nach wie vor. Bis 2050 peilt die Union für sich selbst einen Abbau der Schadstoffemissionen in der Größenordnung 80 bis 95 Prozent an.

Sozialistisches Handicap

Doch nicht überall ist man gleich enthusiastisch. Vor allem die Osteuropäer stoßen sich an den ambitionierten Zielen – und zwar aus zwei Gründen, die beide mit der Vergangenheit als Satelliten der Sowjetunion zu tun haben: Erstens, weil sie immer noch dabei sind, ihre sozialistisch geprägten Schwerindustrien auf Vordermann zu bringen. Und zweitens, weil das Referenzjahr 1990 für die osteuropäischen Mitgliedstaaten besonders ungünstig ist. Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks lagen ihre Volkswirtschaften 1990 darnieder – und generierten vergleichsweise wenig CO2.

Die EU hat die Problematik erkannt und kommt den Osteuropäern in zweierlei Hinsicht entgegen. So sollen die konkreten Zielvorgaben für die einzelnen EU-Mitglieder erst nach der Klimakonferenz von Paris festgelegt werden – mit entsprechend ausgewogener Lastenteilung. Das zweite Entgegenkommen betrifft die bereits beschlossene Reform des europäischen Emissionshandelssystems (ETS): Nachdem das Angebot der ETS-Zertifikate, die von CO2-produzierenden Unternehmen erworben werden müssen, seit Jahren die Nachfrage übersteigt, wird die EU die Emissionsrechte ab 2019 künstlich verknappen, um die Preise pro Tonne CO2nach oben zu treiben und so den Ausstoß zu senken – für osteuropäische Mitgliedstaaten wird es in diesem Kontext Sonderkontingente und einen Hilfsfonds geben.

Was machen die USA und China?

Für Umweltschützer sind diese Ziele nicht ambitioniert genug. Das 40-Prozent-Ziel für das Jahr 2030 entspreche nicht der historischen Verantwortung Europas, beanstandete die Organisation Friends of the Earth, während Greenpeace einen Nullausstoß bereits im Jahr 2050 für realistisch und erstrebenswert hält und folglich die EU-Umweltminister für ein „schwaches Mandat“ kritisierte. Der europäische Industrieverband Businesseurope wiederum wies gestern in einer Aussendung darauf hin, dass nun China und die USA am Zug seien und sich vergleichbare Ziele setzen müssten.

Der Verweis auf die zwei weltgrößten CO2-Emittenten kommt nicht von ungefähr, denn sowohl Peking als auch Washington sperren sich gegen eine global geltende Obergrenze für die Erderwärmung. Die US-Regierung favorisiert statt eines einzigen internationalen Vertrags ein loses multilaterales Abkommen, in dessen Rahmen die Staaten eigene Zusagen machen können. Dem Vernehmen nach sympathisieren China und Indien mit diesem weniger verbindlichen Ansatz.

Vor dem Pariser Gipfel der Staats- und Regierungschefs gibt es nur noch eine Gelegenheit, um etwaige Gegensätze zu überwinden. Mitte Oktober finden in Bonn Beratungen auf diplomatischer Ebene statt, bei der Gelegenheit sollen die Positionen abgeglichen und letzte technische Details geklärt werden.

AUF EINEN BLICK

Was Klimaschutz anbelangt, denkt die EU üblicherweise in Zehnjahreszyklen. Der nächste Stichtag für Europa ist das Jahr 2030 – bis dahin will die Union den Ausstoß von Kohlendioxid um mindestens 40 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 reduzieren, das Ziel für 2050 lautet minus 80 bis 95 Prozent. Bei der UN-Klimakonferenz in Paris, die am 30. November startet, setzt sich die EU für eine globale CO2-Reduktion von 50 Prozent bis zum Jahr 2050 ein – auf dieses Mandat haben sich die EU-Umweltminister bei ihrem gestrigen Treffen in Brüssel geeinigt. Europas wichtigstes Steuerungsinstrument ist dabei der Handel mit Emissionszertifikaten (ETS). Nachdem seit Jahren zu viele Verschmutzungsrechte auf dem Markt sind, wird die EU-Kommission ab 2019 sukzessive für ihre künstliche Verknappung sorgen, um den Preis für den Ausstoß von CO2 in die Höhe zu treiben. Für osteuropäische Mitgliedstaaten sind Sonderkontingente vorgesehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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