Griechenland: Die Häutung des Alexis Tsipras

Greek Political Party Leaders TV Debate Ahead Of Election
Greek Political Party Leaders TV Debate Ahead Of Election(c) Bloomberg
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Der Chef der linken Syriza will am Sonntag das Premiersamt zurückerobern. Zwei Schlüsselerlebnisse hatten ihn dazu gebracht, seine bisherige Politik zu ändern.

Athen. Von Thessaloniki nach Patras, von Athen nach Kreta – Alexis Tsipras wirbt auch noch im Endspurt des Wahlkampfes um jede Stimme für seine Partei Syriza. Am Sonntag stimmen die Griechen über die neue Zusammensetzung des Parlaments ab. Und der einstige Jungstar der griechischen Innenpolitik steht überall im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, sei es beim traditionellen Schnapstrinken auf Kreta, sei es bei den Protesten von Minenarbeitern in Thessaloniki wegen der Schließung ihrer Goldgrube.

Doch in diesem Wahlkampf gibt es eine Besonderheit, die den Auftritten eine neue Note gibt: Tsipras, der im August das Premiersamt abgegeben hat, muss vor dem Publikum um seine Glaubwürdigkeit kämpfen. Im Jänner 2015 war Tsipras mit dem Versprechen angetreten, alles anders zu machen: Er werde das Land modernisieren, die internationalen Gläubiger nach seiner Pfeife tanzen lassen – und die gestrenge Gläubiger-Troika vor die Tür setzen. Noch am 5. Juli 2015 erhielt er bei einer Volksabstimmung, bei der ein Angebot der Gläubiger abgelehnt wurde, 62 Prozent der Stimmen. Und dann war plötzlich alles anders. Noch in der Nacht der Volksabstimmung stellte er die Weichen für eine Einigung mit den Gläubigern, eine Woche später war sie unter Dach und Fach. Seither erklärt er dem Volk, warum er das getan hat, und warum man ihn trotzdem noch wählen sollte.

In der hitzigen Endphase des Wahlkampfs lässt Tsipras seinen populistischen Instinkten freien Lauf, wenn er von einer Volksabstimmung gegen die Konservativen spricht. Doch der Applaus bei dieser Attacke bleibt auffallend schwach. Zu gut erinnern sich seine Anhänger daran, dass sie bei der Volksabstimmung etwas ganz anderes wollten, als das, was sie schließlich bekamen.

Plötzlich war alles anders

Auch Tsipras ist ein anderer als vor sieben Monaten. Sicher war ihm der Abgang „der Partei in der Partei“, wie er sie nennt, der Linksopposition innerhalb Syrizas, eine Lehre. Aber wie er in Interviews zugegeben hat, waren es zwei Schlüsselerlebnisse, die ihn von der Unsinnigkeit seiner bisherigen Positionen, und vor allem der Positionen seiner europakritischen Genossen, überzeugte.

Das erste Schlüsselerlebnis hatte er am Samstag, den 27. Juni 2015. Da erfuhr er, dass Griechenland keine Verlängerung des damals laufenden Hilfsprogramms bekommen würde, um seine Volksabstimmung vom 5.Juli durchzuziehen. Das bedeutete, dass die Regierung schon am nächsten Tag die Banken schließen musste. Plötzlich stand der junge Premier vor dem Nichts. Hätte er die Volksabstimmung verloren, wäre seine politische Karriere wohl zu Ende gewesen. Gleichzeitig erkannte er, dass er zu hoch gepokert hatte: Das Land stand am Abgrund. Und so führte er in dieser Woche den Wahlkampf seines Lebens, um die Abstimmung zu gewinnen. In der Stunde seine Triumphes aber riss er das Ruder herum.

Er erkannte, was auf dem Spiel stand

Das zweite Schlüsselerlebnis war der Eurozonengipfel vom 12. und 13. Juli in Brüssel. Als Deutschland ihn mit dem Plan eines bezahlten „Urlaubs“ von der Eurozone konfrontiert, erkannte er mit einem Mal, dass das Schicksal seines Landes tatsächlich auf dem Spiel stand. Er hatte stets beteuert, dass die europäischen Partner auf keinen Fall einen Austritt des Landes aus der Eurozone riskieren wollten. Plötzlich sah er die Welt mit anderen Augen. Er verhandelte ein Rettungspaket aus, bei dem Griechenland besser aussteigt, als allgemein geglaubt wird, und er begann, seinen Kurs den neuen Tatsachen anzupassen – mit dieser Anpassung sind die Bürger, ist er persönlich, ist aber auch seine Partei bis heute beschäftigt.

Der Auszug der abtrünnigen „linken Plattform“ von Panagiotis Lafazanis und der Parlamentspräsidentin Zoi Konstantopolou und die Gründung der neuen Partei Volkseinheit ersparte Syriza interne Kämpfe. Die Abgänge führten zu einem Aderlass in den lokalen Syriza-Organisationen, andererseits aber konnte Tsipras seine Wahllisten ungestört zusammenstellen. Er setzte vor allem Spitzenminister seiner zurückgetretenen Regierung an die Spitze der Listen in den großen Städten. So ist Nikos Kotzias, der im Ausland umstrittene Außenminister, in Athen gut gereiht, aber auch Ex-Finanzminister Efklidis Tsakalotos und der Tsipras-Vertraute Nikos Pappas. Eine Aufgabe aber hat der Ex-Premier noch nicht gemeistert: Er muss seiner Partei eine neue Vision geben. Er spricht zwar viel von Modernisierung – bisher hat er aber nur alte Konzepte vorgelegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2015)

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