Der Faktor Mensch im Binnenmarkt

Marin Goleminov
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Verbraucher- und Umweltpolitik der EU. Der Wettbewerb regelt den Preis, doch für sichere Waren, gesunde Lebensmittel und für eine lebenswerte Umwelt muss die gemeinsame europäische Politik sorgen. Tut sie das?

Der Binnenmarkt ist so etwas wie das Herz der Europäischen Union. Es pumpt das wirtschaftliche Leben in die Mitgliedstaaten. Der gemeinsame Markt von mittlerweile 508 Millionen EU-Bürgern hat vor allem einen Sinn: Er erlaubt das Entstehen von einer Vielzahl von Nischenprodukten, die auf lokalen Märkten überhaupt keine Chance hätten. Was wären etwa die österreichischen Autozulieferbetriebe ohne Produzenten in Deutschland, Frankreich und Italien? Wohin würde Österreich seine ausgezeichneten Weine exportieren, wenn es zwischen den europäischen Ländern wieder Zölle und Handelsbeschränkungen gäbe? Der Binnenmarkt regelt durch seine gewaltige Größe mit 21 Millionen Unternehmen natürlich auch den Preis. Dafür sorgt der wichtigste Marktmechanismus, der Wettbewerb. In einem kleineren, nationalen Markt gäbe es diese Konkurrenz nicht. Die Preise wären für viele Produkte deshalb automatisch höher.
Doch der riesige Markt braucht auch strenge Regeln, damit der Wettbewerb fair über die Bühne geht und die Konsumenten nicht Opfer einer unübersichtlichen Warenflut und von korrupten Anbietern werden. Seit dem offiziellen Start des EU-Binnenmarkts 1993 wurde eine Vielzahl von Normen, Standards und Regeln festgeschrieben, um gleiche Bedingungen für Unternehmen und Konsumenten in den mittlerweile 28 Mitgliedstaaten sowie Partnerländern wie der Schweiz zu gewährleisten.
Diese Masse an Gesetzen hat der EU-Kommission den Vorwurf eingebracht, sie agiere viel zu bürokratisch und wolle das Leben der EU-Bürger und das Dasein der EU-Unternehmen überregulieren. Wenngleich der ständige Zuwachs an Regeln (siehe Seite 2) tatsächlich ein Problem darstellt, muss auch auf die Notwendigkeit vieler EU-Richtlinien und Verordnungen hingewiesen werden.
Hohe Hygienestandards mögen zwar für manche Lebensmittelproduzenten eine Last darstellen, andererseits gewährleisten sie auch eine Sicherheit, die für das Vertrauen der EU-Verbraucher notwendig ist. Ähnlich ist es mit der EU-Chemikalienverordnung REACH, die von der chemischen Industrie lang bekämpft wurde, weil sie ein kompliziertes Registrierungs- und Kontrollverfahren für Chemikalien vorsieht. Insgesamt brachte die Verordnung aber mehr Sicherheit für den Verbraucher und die Umwelt. Um Vertrauen in Produkte aus anderen Mitgliedstaaten aufzubauen, sind einheitliche Qualitätsstandards notwendig. Dies betrifft elektrische Geräte genauso wie zum Beispiel Kraftfahrzeuge und Baumaterialien. Es wäre für den Verbraucher zudem verwirrend, wenn jedes Land eigene Normen einführen würde.
Der Faktor Mensch im Binnenmarkt muss allerdings auch täglich verteidigt werden. Seine Interessen, Ängste und Vorlieben sind Teil des innereuropäischen Handels geworden. Dies hat die EU-Kommission nach langem Zögern etwa bei gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln erkannt und darauf reagiert. Sowohl Umweltschutz- als auch Konsumentenschutzgruppen kritisieren, dass in Brüssel Lobbyisten großer Konzerne auf die gemeinsame Gesetzgebung Einfluss nehmen. Ihre Interessenslage ist naturgemäß eine deutlich andere als die von Verbrauchern. So versuchten etwa große US-Internetkonzerne den von EU-Kommission und EU-Parlament vorbereiteten strengeren Datenschutz für Internetkunden zu verwässern.

Neue Märkte ermöglichen

Letztlich ist denn auch jede neue EU-Regel ein Kompromiss, in den mehrere Interessen Einfluss nehmen: jene der Konsumenten, jene der Produzenten und jene der EU-Kommission, die es als Aufgabe sieht, den Binnenmarkt so attraktiv zu machen, dass sein wirtschaftliches Potenzial ausgeschöpft werden kann. Beispiele dafür sind die von Brüssel forcierte Reduzierung der Roaminggebühren und das Ende des Geo Blocking (nationale Sperrung von Internetinhalten). Beides behindert nämlich den Aufbau eines digitalen Binnenmarkts, der nicht nur von großen Versandhändlern, sondern auch von zahlreichen kleinen Start-ups als Geschäftsbasis genutzt werden kann.
Sowohl der Schutz der Umwelt als auch der Schutz des Konsumenten waren nicht von Beginn an Teil der EU-Politik. In den Gründungsverträgen ist beispielsweise keine Rede von einer gemeinsamen Umweltpolitik. Beide Themenfelder sind aber zum Sinnbild einer Union geworden, die versucht, jene Probleme zu lösen, mit denen die Einzelstaaten überfordert sind. Sowohl der internationale Handel als auch der Klimaschutz verlangen nach einem Bündeln der Kräfte, um sich global zu behaupten und die Lebensbedingungen in Europa absichern zu können.
Letztlich wird die Glaubwürdigkeit der Politik in Brüssel auch davon abhängen, ob sie in Zukunft neue Regeln dafür nutzt, die Freiheiten im Binnenmarkt aus falsch verstandener Aufsichtspflicht zu beschränken oder ob sie den Menschen und seine Interessen in den Mittelpunkt stellt. Ob sie dem Verbraucher Schutz gegenüber zu einseitigen Interessen großer Konzerne oder mächtiger Handelspartner gewährt?
Das Bemühen, den großen Markt im Sinn der 508 Millionen EU-Bürger zu regeln, braucht also auch Fingerspitzengefühl. Vorgeschlagene Regulierungen wie das Verbot von Ölkännchen auf Restauranttischen gehen dabei in die falsche Richtung. Eine Überregulierung des Binnenmarkts würde nämlich die notwendige Eigenverantwortung der Konsumenten obsolet machen.

Verbraucherzufriedenheit

Umfrage. Die EU-Kommission untersucht regelmäßig mit einem Barometer zu den Verbrauchermärkten die Zufriedenheit der Konsumenten. Im Zehnten Barometer (2014) wurde eine deutliche Verbesserung der Verbraucherstimmung bei Waren festgestellt, während Dienstleistungen weiterhin Anlass zur Unzufriedenheit gaben. Die Untersuchung wird je Land durchgeführt und zeigt die unterschiedliche Bewertung zahlreicher Branchen. In Österreich hat sich die Zufriedenheit der Verbraucher insgesamt seit 2010 verbessert. Insbesondere der Warenmarkt wird hier besonders positiv bewertet. Besonders gut im Vergleich zu anderen EU-Ländern wurden in Österreich der Optiker- sowie der Buch-, Magazin- und Tageszeitungsmarkt wahrgenommen, besonders kritisch wird der Gebrauchtwagenmarkt betrachtet. Bei Dienstleistungen liegen Kultur und Unterhaltung an der Spitze. Am unteren Ende fand sich der Immobilienmarkt.

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