Ein „Megafon“ der radikalen Linken

Frankreichs Sozialisten bezahlen an der Europawahlurne den Preis ihrer Rivalitäten.

PARIS. Niemand soll Martine Aubry vorwerfen können, sie habe in dieser Kampagne nicht ihr Bestes gegeben. Die Parteichefin der französischen Sozialisten hat sogar eine Hornhautoperation auf die Zeit nach den Europawahlen verschoben. Ein weit größeres Opfer war es wohl für sie, wenigstens ein einziges Mal Hand in Hand mit ihrer Erzrivalin Ségolène Royal im Rezé bei Nantes in Westfrankreich aufzutreten. Niemand nimmt ihnen die Herzlichkeit ab.

Diese öffentliche Versöhnung mit Royal war nach Ansicht des sozialistischen Bürgermeisters von Dijon, François Rebsamen, die letzte Trumpfkarte, die Aubry in diesem Wahlkampf ausspielen konnte, um bei Landsleuten Gehör zu finden, die sich kaum für diese Europawahlen und viel weniger noch für den Wahlkampf der Sozialisten interessieren. „Bisher hatte man den Eindruck, dass die Stimme der Sozialisten gar nicht zu vernehmen ist“, bedauert Rebsamen, der dafür freilich nicht die Differenzen in seiner eigenen Partei verantwortlich macht, sondern Sarkozys rechte Regierungspartei UMP, die alles daran setze, „eine Konfrontation zu vermeiden und von der absehbaren massiven Stimmenthaltung zu profitieren“.

Da die Listen der UMP und ihrer kleineren Koalitionspartner (Nouveau Centre und Gauche moderne) auch nur mit 25 bis 28% Wähleranteil rechnen können, „stimmen 70% der Franzosen gegen die UMP und vor allem gegen Sarkozy“, argumentiert Aubry mit unwiderlegbarer mathematischer Logik. Diese Schadenfreude soll die Sozialisten darüber hinwegtrösten, dass sie selbst froh sein können, wenn sie nicht mit einem allzu großen Rückstand zur UMP unter die 20-Prozent-Schwelle abrutschen.

Wirtschaftskrise stärkt Radikale

Mit der Wirtschaftskrise kommen die Sozialisten vor allem von ganz links unter Druck. Auf die Frage der Politologen, wer die Opposition gegen Sarkozy am besten verkörpere, kommt für die Franzosen gleich nach Ségolène Royal der Trotzkist Olivier Besancenot. Der als Briefträger im Pariser Nobelvorort Neuilly arbeitende Revolutionär figuriert permanent in der Spitzengruppe der populärsten Politiker.

Vor allem bei den Jungen kommt der pausbäckige 34-Jährige, der im Fernsehen frech und schlagfertig den Berufspolitikern Paroli bietet, gut an. Die Wahlen sind kein Selbstzweck für seine „Neue Antikapitalistische Partei“ (NPA), die rund 9000 Mitglieder zählt und am 7. Juni mit sechs bis acht Prozent der Stimmen rechnen kann. Sie will in ihrer Kampagne laut Besancenot „das Sprachrohr des Widerstands und der Wut“ der Unterdrückten und Krisenopfer sein. Entsprechend wurden Hammer und Sichel der „Ligue Communiste Révolutionnaire“, aus der die NPA hervorging, durch ein Megafon als Parteiemblem ersetzt. Noch spektakulärer würde der Vormarsch der revolutionären Antikapitalisten ausfallen, wenn nicht auf die Wahlen hin ebenfalls links von den Sozialisten als Konkurrenz eine „Linksfront“ (sieben Prozent in Umfragen) aufgetaucht wäre. Die nach deutschem Vorbild vom Ex-Sozialisten Jean-Luc Mélenchon gegründete Linkspartei (PG) hat sich mit den Kommunisten zusammengetan, die eine fast unverhoffte Chance bekommen, ihren unaufhaltsamen Niedergang zu stoppen.

Gerade das Erstarken der radikalen Linken, bestehend aus Linksfront, NPA und der trotzkistischen „Lutte Ouvrière“ (bis zu 15% Stimmenanteil) könnte die Sozialisten veranlassen, sich definitiv von der „Linksunion“ zu verabschieden und sich für kommende Wahltermine in der Mitte nach Partnern umzusehen. Dort warten der Zentrumsdemokrat François Bayrou (ca. 14%) und auch die von Daniel Cohn-Bendit angeführten Grünen (ca. zehn Prozent) nur auf die offizielle Einladung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.06.2009)

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