"Reisefreiheit halte ich für eine verrückte Idee"

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Morten Messerschmidt, Europaabgeordneter der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, gibt Deutschland die Schuld an der Flüchtlingskrise und fordert Wirtschaftssanktionen für Saudiarabien.

Die Presse: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in der Flüchtlingskrise Anfang September die Parole „Wir schaffen das“ ausgerufen, woraufhin die dänische Regierung die Grenze zu Deutschland kurzfristig sperren ließ. Ich nehme an, dass Sie Merkels Meinung nicht teilen.

Morten Messerschmidt: Nein. Es war ein großer Fehler, über die europaweite Aufteilung von Flüchtlingen per Mehrheitsbeschluss (gegen die Stimmen von vier osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten, Anm.)zu entscheiden. Das wird noch zu Spannungen führen. Angesichts der Tatsache, dass die Eurokrise noch nicht ausgestanden ist, hat Angela Merkel den denkbar falschesten Zeitpunkt gewählt, um sich Feinde zu machen.

Sie sprechen von den europapolitischen Implikationen. Was ist mit den Flüchtlingen selbst?

Durch die deutsche Vorgehensweise ist die Illusion entstanden, jeder könne nach Europa kommen. Ich bevorzuge den britischen Ansatz: London hat von Anfang an klargestellt, dass Flüchtlinge, die illegal ins Land kommen, um einen Asylantrag zu stellen, nicht willkommen sind. Zugleich aber wollen die Briten ein Kontingent von Flüchtlingen direkt aus den UN-Flüchtlingslagern bei sich aufnehmen.

Da Sie das britische Hilfsangebot loben: Wie viele Flüchtlinge sollte die EU aufnehmen?

Wir können in Europa weniger Menschen helfen als direkt in der Region. Auf längere Sicht muss die europäische Asylpolitik außerhalb Europas stattfinden – in von der EU betriebenen Zentren, beispielsweise in Tunesien, wo die Flüchtlinge geschützt sind und Zugang zur medizinischen Versorgung und Bildung haben. So könnten wir den wirklich Schutzbedürftigen helfen: jenen, die zu schwach sind, um die Strapazen der Flucht nach Nordeuropa auf sich zu nehmen.

Worauf man erwidern könnte, dass diejenigen, die diese Strapazen auf sich nehmen, später ihre Familien nachholen wollen.

Wenn jemand vor dem Krieg flüchtet, dann wird er nicht seine Angehörigen einfach so zurücklassen.

Die Frauen und Kinder bleiben ja nicht im Kriegsgebiet zurück, sondern in Flüchtlingslagern in der Region.

Das mag schon sein. Die EU könnte trotzdem mehr Menschen vor Ort helfen. Es ist viel aufwendiger, eine Million Syrer in Europa zu integrieren. Außerdem könnten wir dort besser mit anderen Ländern kooperieren, die ein Interesse daran haben, dass diese Krise unter Kontrolle gebracht wird.

Bisher war die Bereitschaft diesbezüglich in der Region enden wollend. In Saudiarabien sind Flüchtlinge aus Syrien nicht gerade gern gesehen.

Und deshalb sollten wir Saudiarabien und die anderen Golfemirate dazu bringen – notfalls mit Strafmaßnahmen. Es geht um Staaten, die sich inmitten einer riesigen humanitären Krise in ihrer direkten Nachbarschaft aus der Verantwortung stehlen. Gegen Russland haben wir wegen eines relativ kleinen Landstrichs in der Ukraine Sanktionen verhängt.

Sie können doch diese Krisen nicht miteinander vergleichen. Russland hat sich einen Teil des ukrainischen Staatsgebiets gewaltsam einverleibt. Mit welcher Begründung wollen Sie gegen die Saudis Sanktionen verhängen?

Weil Sie keine Verantwortung übernehmen wollen, und weil sie die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert haben.

Sie haben die Eurokrise angesprochen. Bei Griechenland konnten sich die EU-Mitglieder schlussendlich auf eine Strategie einigen. Was den Umgang mit Flüchtlingen anbelangt, wirken sie viel gespaltener . . .

. . . weil die Flüchtlingskrise weniger abstrakt, dafür aber emotional besetzt ist. Und weil nicht alle Erfahrungen, die in Europa mit Flüchtlingen gemacht werden, positiv sind. Auch Deutschland musste binnen kürzester Zeit den Kurs ändern: Zuerst wurde die Dublin-Konvention im Alleingang ausgesetzt, und jetzt soll es sich wieder um ein gemeinsames europäisches Problem handeln. Angela Merkel ist die Sache entglitten.

Also ist Deutschland an der Flüchtlingskrise schuld.

Mit Sicherheit zu einem Teil. Berlin hätte sich an das Grundprinzip von Dublin halten sollen, wonach ein Flüchtling dort seinen Asylantrag zu stellen hat, wo er zum ersten Mal EU-Boden betreten hat. Wenn man diese Regel missachtet, verleitet das dazu, Probleme über die EU-Binnengrenze zu schieben.

Halten sie die Reisefreiheit innerhalb der EU für einen Teil des Problems?

Ich halte diese Idee für verrückt. Die Schengenzone hat gut funktioniert, als die EU noch weniger Mitglieder hatte. Der Wegfall von Grenzkontrollen hat zu einem massiven Anstieg der Kriminalität geführt. Die Briten haben es besser.

ZUR PERSON

Morten Messerschmidt (geboren 1980) ist seit 2009 Europaabgeordneter der rechtspopulistischen Dansk Folkeparti. 2002 wurde der Jurist zu einer Haftstrafe auf Bewährung verurteilt, weil er multiethnische Gesellschaften mit Vergewaltigung und Zwangsehe in Verbindung gebracht hatte. Die Dänische Volkspartei ist seit der Parlamentswahl 2015 zweitstärkste politische Kraft in Dänemark.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2015)

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