EU-Kommission: Im Trippelschritt zum Binnenmarkt

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Die Brüsseler Behörde präsentiert ihren Reformfahrplan für das kommende Jahr – geplant ist unter anderem eine Gesetzesinitiative gegen diskriminierende Preisgestaltung.

Brüssel. Ambitioniert, zugleich aber pragmatisch: Was beim ersten Hinhören wie ein Widerspruch klingt, ist nach Ansicht der EU-Kommission keiner – vor allem nicht, wenn es um die Weiterentwicklung (bzw. Vertiefung, wie es im Brüsseler Jargon heißt) des europäischen Binnenmarkts geht. Angesichts der immer größer werdenden Komplexität des mittlerweile gut 500 Millionen Konsumenten zählenden Markts mit einer kumulierten Wirtschaftsleistung von 14 Billionen Euro ist die Brüsseler Behörde dazu übergegangen, statt einer Politik der großen Würfe die Strategie der kleinen Schritte zu praktizieren. Am gestrigen Mittwoch kam dieser Ansatz zum Tragen, als zwei Mitglieder der Kommission ihre Vorhaben an der Großbaustelle Binnenmarkt präsentierten: die für Markt- und Industriefragen zuständige Elżbieta Bieńkowska sowie der mit Wachstum, Investitionen und Arbeitsplätzen betraute Vizepräsident der EU-Kommission, Jyrki Katainen, der gestern erklärte, der Binnenmarkt müsse „mit der Zeit gehen“. Wohin, wurde bei der gestrigen Präsentation zumindest ansatzweise ersichtlich.

Was technokratisch klingt, hat große – auch emotionale – Bedeutung. Wie eine in der Vorwoche präsentierte europaweite Umfrage der Bertelsmann-Stiftung ergeben hat, schätzen 45 Prozent der EU-Bürger den Binnenmarkt als größte Errungenschaft der Europäischen Union – nur die Reisefreiheit innerhalb der EU genießt mit 46 Prozent (marginal) größere Wertschätzung. Überspitzt formuliert ist jede Reform eine Operation am offenen Herzen.

Viele kleine Schrauben

Um den Markt effizienter zu machen, will die Brüsseler Behörde behutsam an vielen kleinen Schrauben drehen, um möglichst vielen Marktteilnehmern das Leben zu erleichtern. Für Klein- und Mittelbetriebe gedacht ist eine für das kommende Jahr vorgesehene Gesetzesinitiative der sogenannten zweiten Chance – vereinfacht ausgedrückt geht es darum, unternehmerische Misserfolge leichter verdaulich zu machen, etwa durch ein vereinfachtes Insolvenzregime. Zu diesem Bereich zählt auch der bereits von Finanzmarktkommissar Jonathan Hill angekündigte Dachfonds für Wagniskapital, um Start-ups zu fördern.

Ein ewiges Problemkind der Brüsseler Behörde ist der grenzüberschreitende Handel mit Dienstleistungen – der oft an unterschiedlichen Normen, Qualifikationen und Vorgaben scheitert. Über eine Novellierung der seit 2006 geltenden Dienstleistungsrichtlinie wird in Brüssel zwar nicht nachgedacht, die bestehende Rahmenordnung soll aber besser zur Geltung kommen – im kommenden Jahr will die Kommission die Mitgliedstaaten darüber informieren, welche Reformen aus ihrer Perspektive notwendig sind, um die gegenseitige Anerkennung von Qualifikationen zu erleichtern. Die Initiative firmiert unter dem Oberbegriff „Dienstleistungsreisepass“, der Fokus soll 2016 auf professionellen Dienstleistern für Unternehmen sowie auf der Baubranche liegen – in Brüssel wird in dem Zusammenhang immer wieder betont, dass man nicht vorhabe, bestehende soziale Standards aufzuweichen.

Ein Preis für alle

Und wie immer wäre eine Reform des Binnenmarkts ohne Maßnahmen zum Wohl der Konsumenten unvollständig. Der gestern präsentierte Fahrplan legt den Schwerpunkt auf grenzüberschreitende Diskriminierung – also auf die Tatsache, dass im Detailhandel innerhalb der EU immer noch Preisdifferenzen auftreten, die (nach Ansicht der Kommission) durch nichts gerechtfertigt sind. Ebenfalls für das kommende Jahr bereitet die Brüsseler Behörde ein Gesetzespaket vor, das unterschiedliche Preisgestaltung je nach Staatsbürgerschaft des Käufers untersagen soll.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2015)

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