Ratspräsidentschaft: Nur noch ein Schatten früherer Macht

Halbjähriger Vorsitz. Einst dirigierte jedes halbe Jahr ein anderes Mitgliedsland die Geschicke des Rats. Mittlerweile werden die wichtigsten Treffen von gewählten Vorsitzenden geleitet. Der Ratspräsidentschaft bleibt nur noch der Rest, allerdings auch zu deutlich geringeren Kosten.

Wien. Alle waren sie gekommen: 15 Staats- und Regierungschefs reisten 1998 an den Wörthersee, dazu PLO-Führer Yasser Arafat und der eben erst neu gewählte, aber noch nicht amtierende deutsche Bundeskanzler, Gerhard Schröder. Österreich investierte damals viele Millionen in den ersten großen Auftritt als EU-Ratspräsident. Im Oktober traf man sich in Pörtschach, im Dezember kamen die Spitzenpolitiker der EU nach Wien. Das Rahmenprogramm war beeindruckend.

Bis zum Inkrafttreten des Nizza-Vertrags hatte der alle sechs Monate wechselnde Vorsitz im Rat der EU eine wesentliche Bedeutung. Auch Österreichs Bundesregierung bereitete alle Treffen der Fachminister, aber auch die EU-Gipfeltreffen vor. Die Präsidentschaft konnte einen Großteil der Agenda bestimmen, sie vermittelte Kompromisse und repräsentierte die Gemeinschaft nach außen. Das Problem daran war nur, dass die Kontinuität fehlte. In einem ersten Zwischenschritt wurde ab 2007 eine enge Zusammenarbeit der jeweils drei aufeinanderfolgenden Präsidentschaften beschlossen.

Die rotierende Präsidentschaft hatte einen für die EU-Stimmung wesentlichen Impuls. Die EU wurde dadurch in den Mitgliedstaaten spürbar. Das ferne Brüssel ging auf Tournee und kam auch nach Wien, Köln, Florenz, Biarritz oder Sevilla. In Österreich etwa war sowohl 1998 als auch bei der zweiten Präsidentschaft 2006 in den Umfragen vorübergehend eine verbesserte EU-Stimmung erkennbar.

Plötzlich waren alle EU-Gipfel in Brüssel

Mit dem Inkrafttreten des Nizza-Vertrags 2003 erlebte dieses System einen ersten Einbruch. Da eine Einigung auf eine Neuverteilung der Sitze im EU-Parlament und eine Neugewichtung der Stimmen im Rat am Widerstand Belgiens zu scheitern drohte, kam das bisherige System des EU-Vorsitzes ins Wanken. Der französische Staatspräsident, Jacques Chirac, schlug nämlich der frustrierten belgischen Regierung ein Gegengeschäft vor. Mitten in der Nacht und unabgesprochen mit den restlichen EU-Regierungen versprach er, dass künftig alle EU-Gipfel in Brüssel abgehalten werden könnten. Für die belgische Hauptstadt bedeutete dies ein sicheres und regelmäßiges Geschäft mit hunderten anreisenden Delegationsmitgliedern und Journalisten.

Damit wurde die attraktivste, aber auch teuerste Veranstaltung der Präsidentschaft zu einem Routinetreffen in der belgischen Hauptstadt degradiert. Der Glanz der Gipfelempfänge in Stockholm oder Dublin wich dem wenig charmanten Umfeld der EU-Bürokratie. Widerstand gegen Chiracs Alleingang gab es nicht. Denn mit diesem Schritt konnten die Ausgaben für die Ratspräsidentschaften deutlich gesenkt werden.

Mit dem Lissabon-Vertrag wurde den Ratspräsidentschaften schließlich auch der politische Glanz genommen. Statt dass weiterhin einer der Staats- oder Regierungschefs den Vorsitz der Gipfeltreffen übernimmt, wurde der Posten eines gewählten Ratspräsidenten geschaffen, der mit seinem Stab nun alle Europäischen Räte vorbereitet und abwickelt. Die Außenministertreffen werden seitdem ebenfalls von einem fixen Vorsitzenden, dem Außenbeauftragten der EU, geleitet. Für die Treffen der Eurofinanzminister wurde schon zuvor ein eigens bestellter Vorsitzender geschaffen. Für die Ratspräsidentschaft bleibt nur noch der Rest der weniger bedeutsamen Zusammenkünfte. Mittlerweile finden auch nur noch wenige informelle Ratstreffen direkt in jenem Land statt, das für sechs Monate den Vorsitz innehat. (wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Europa

„Politische“ EU-Kommission mit mehr Gespür

Institutionen II. Die Brüsseler Behörde zeigt unter Jean-Claude Juncker klare Kanten – oft in Kooperation mit dem Rat.
Europa

Die Botschafter bereiten alle Treffen auf Ministerebene vor

Ausschuss der Ständigen Vertreter. Im Fachjargon heißen die wöchentlichen Ausschüsse auf Botschafterebene Coreper. Dort werden Positionen diskutiert, bevor die Ressortchefs selbst nach Brüssel reisen. Die Zusammenarbeit der Diplomaten funktioniert oft besser als jene der Politiker.
Europa

Rat und Parlament: Zwei ziemlich beste Freunde

Institutionen I. Minister oder Europaabgeordnete – wer hat die größere Legitimation, Europapolitik zu gestalten?
Europa

Lösung der Flüchtlingskrise als Daueraufgabe

Rat der Innen- und Justizminister. Die europäische Migrations- und Asylpolitik steht im Mittelpunkt der regelmäßigen (Sonder-)Treffen.
Europa

Länder der Währungsunion beraten informell

Euro-Gruppe. Das Gremium der Finanzminister der Eurozone geriet in den vergangenen Jahren öfter ins Zentrum der Aufmerksamkeit.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.