Analyse: Relativiert VW-Skandal TTIP-Ängste?

Oct 15 2015 Brussels Bxl Belgium Anti The Transatlantic Trade and Investment Partnership TT
Oct 15 2015 Brussels Bxl Belgium Anti The Transatlantic Trade and Investment Partnership TT(c) imago/ZUMA Press (imago stock&people)
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Das Beispiel Dieselabgasnormen zeigt, dass die USA nicht generell niedrigere Umweltstandards als die EU haben. Oft entscheiden darüber aber Klagen statt Gesetze.

Wien. „Wir haben am Beispiel von VW ungern gemerkt, dass die Abgasvorschriften in den Vereinigten Staaten von Amerika auch nicht so schlecht sind“, sagte Deutschlands Kanzlerin an diesem Montag bei einer Rede in Berlin und warb gleich darauf für das Handels- und Investitionsabkommen mit den USA (TTIP). „Nichts, was wir heute in Europa haben, wird abgesenkt.“ Relativiert der VW-Skandal also die Ängste vor geringeren Umwelt- und Lebensmittelstandards durch TTIP?

Die Frage ist nicht so einfach zu beantworten. Tatsache ist, dass die USA per se kaum niedrigere Standards als die EU aufweisen, sie haben allerdings viel weniger geregelt. Während neue Dieselmotoren heute in den USA 70 Milligramm Stickoxid pro Meile (1,6 Kilometer) ausstoßen dürfen, sind es in der EU 80 Milligramm pro Kilometer – also deutlich mehr. Strengere Normen verlangen die USA auch bei E-Motoren (Energieeffizienz) oder bei Listerienbakterien in Lebensmitteln. Die EU ist hingegen bei Pflanzenschutzmitteln sowie bei Chemikalienrückständen in Futtermitteln deutlich strenger. So nennt ein Bericht des deutschen Umweltbundesamts einen Fall aus dem Jahr 2012, als größere Mengen Futtermais, „die mit Schimmelpilzgift Aflatoxin B1 verunreinigt waren und in der EU als Abfall hätten entsorgt werden müssen, als Futtermittel in die USA verschifft wurden“.

Vorsorge- gegen Risikoprinzip

Das Beispiel Chemikalien zeigt auf, dass in der EU das Vorsorgeprinzip gilt. Das heißt, neue Chemikalien müssen zuerst zugelassen werden, bevor sie verkauft werden dürfen. Die USA verfolgen einen gänzlich anderen risikobasierten Ansatz. Demnach dürfen Chemikalien so lang verkauft werden, bis ihre Gefährlichkeit nachgewiesen ist. Dieses Prinzip trifft laut dem deutschen Umweltbundesamt auch für Standards bei Industrie- und Abfallbehandlungsanlagen zu. In Einzelbereichen, nämlich dort, wo beispielsweise Unternehmen in den USA bereits angezeigt und geklagt wurden, sind die Standards deshalb möglicherweise auch höher als in der EU. In vielen anderen Bereichen aber sind sie niedriger oder gar nicht vorhanden.

„Hier einen Kompromiss zwischen der EU und den USA zu finden, der die zweifelsohne strikteren EU-Standards nicht zu sehr verwässert, wird nicht einfach sein“, schreibt der Handelsexperte der Universität Mannheim, Harald Fadinger, in einem Policy-Brief der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik (ÖGfE).

Auch eine gegenseitige Anerkennung von Prüfverfahren, wie dies etwa bei unterschiedlichen Kfz-Crashtests in den USA und der EU angedacht wurde, wird das Problem nicht ganz lösen. Die EU-Kommission hat angesichts der jüngsten Massenproteste gegen TTIP dennoch versprochen, dass europäische Umwelt- und Sozialstandards nicht gesenkt würden. Auskunft darüber, wie sie das umsetzen wird, blieb sie schuldig.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2015)

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