Cameron stellt britische Position zur EU-Reform vor: "Mission possible"

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Der Premier will "mit Herz und Seele für den Verbleib in einer reformierten Union kämpfen". Großbritannien will ausdrücklich „die Verpflichtung beenden“, in Richtung einer fortschreitenden Integration zu arbeiten.

London/Brüssel. Der britische „Brief nach Brüssel“ ist eingetroffen. „Damit können die Verhandlungen über Großbritannien in der EU (#UKinEU) beginnen“, teilte Ratspräsident Donald Tusk gestern, Dienstag, per Twitter mit. Auf der anderen Seite des Ärmelkanals zeigte sich der britische Premierminister, David Cameron, seinerseits bemüht, keine unüberwindlichen Gräben aufzureißen: Die von den Briten angestrebte Reform der Europäischen Union sei eine „lösbare Aufgabe“.

In einer Rede legte Cameron die britischen Forderungen dar: London will von Brüssel Garantien für Nicht-Euro-Mitglieder, eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, eine Aufwertung der Souveränität der EU-Staaten und Änderungen bei der Migration. Der Brief an Tusk lieferte dann einige Details nach, die bereits in der Öffentlichkeit kolportiert worden waren. So will Großbritannien festschreiben lassen, dass der Euro nicht die offizielle Währung der Europäischen Union ist. Staaten, die nicht an der Währungsunion teilnehmen, sollen dadurch auf dem Gemeinsamen Markt keine Nachteile erleiden dürfen und nicht zur Teilnahme an Maßnahmen wie etwa der Bankenunion gezwungen werden können.

Großbritannien will ausdrücklich „die Verpflichtung beenden“, in Richtung einer fortschreitenden Integration („ever closer union“) zu arbeiten. Eine „noch zu klärende Anzahl“ nationaler Parlamente soll das Recht erhalten, EU-Bestimmungen und Vorschriften „zu verhindern“ („red card“), und das Subsidiaritätsprinzip soll wieder aus der Schublade geholt werden: „Europa, wo notwendig; national, wo möglich.“

Am schwierigsten, wie Cameron selbst einräumt, werden die Verhandlungen über Einschränkungen bei der Einwanderung sein. Großbritannien will Ausländern erst nach vier Jahren Erwerbstätigkeit Zugang zu Sozialleistungen einräumen, und das Prinzip der Niederlassungsfreiheit für Bürger aus kommenden neuen EU-Staaten erst nach einer „substanziellen Angleichung des Lebensniveaus“ gewähren. Während die EU-Kommission in einer ersten Stellungnahme von „hochproblematischen“ Positionen sprach, unterstrich Cameron Londons „Flexibilität“.

Weil der Inhalt der britischen Forderungen bereits weitgehend bekannt war, kam dem Ton gestern umso größere Bedeutung zu. Auch wenn Cameron sagte, dass er „keine emotionelle Verbindung“ mit Brüssel habe und die EU für Großbritannien „ein Mittel zum Zweck“ sei, so betonte er zugleich auch: „Ich werde mit Herz und Seele dafür kämpfen, dass Großbritannien in einer reformierten EU bleibt.“ Dies sei nicht nur ökonomisch, sondern auch sicherheitspolitisch und im Konzert der internationalen Mächte „unzweifelhaft in unserem nationalen Interesse“.

Kommission gesprächsbereit

Auch die EU-Kommission zeigte in einer ersten Stellungnahme Gesprächsbereitschaft. „Wir sehen einige machbare Elemente wie etwa die Stärkung der nationalen Parlamente, andere Dinge wie die Forderungen für Nicht-Euro-Staaten sind schwieriger.“ Eine Diskriminierung von EU-Bürgern aber werde die Behörde nicht akzeptieren.

Schon in der kommenden Woche sollen konkrete Verhandlungen beginnen. Dementiert wurden von der Downing Street aber Meldungen, dass schon beim EU-Gipfel im Dezember eine Einigung erzielt werden könne. Ebenso wies das Amt des britischen Premiers Spekulationen zurück, dass die britische Volksabstimmung über die EU-Mitgliedschaft des Landes schon für Juni 2016 geplant sei.

Von den britischen EU-Gegnern wurde Camerons Forderungskatalog in der Luft zerrissen. Der Premier wolle „offensichtlich gar nicht wirklich verhandeln“, erklärte die Gruppe Vote Leave. Die Ja-Gruppe Britain in Europe sprach hingegen von „vernünftigen“ Positionen. Schaut man sich das Schreiben Camerons genauer an, erkennt man: Die Kernforderung der Briten liegt im Bereich Wirtschaft und Finanzen. Bei der Einwanderung braucht Cameron einen sichtbaren Erfolg, da er den heißen Atem der Populisten wie UKIP im Nacken spürt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2015)

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