Großbritanniens Premier warb in Wien für seine Vorstellungen einer EU-Reform. Heikles Gesprächsthema war aber auch das AKW Hinkley Point.
Wien. Als sich David Cameron am Donnerstagabend in Wien mit Bundeskanzler Werner Faymann zu einem Vieraugengespräch zurückzog, ging es nicht um übliche Freundlichkeiten, sondern um zwei durchaus heikle Themen: eine mögliche Unterstützung Österreichs für die vom britischen Premier geforderten EU-Reformen und um die österreichische EU-Klage gegen das AKW Hinkley Point C. Vor allem Letzteres hat für eine schwere Verstimmung zwischen Wien und London gesorgt.
Cameron warb um Änderungen in der gemeinsamen europäischen Politik. Der überwiegende Teil seines Forderungskatalogs dürfte auch bei Österreichs Regierung Zustimmung gefunden haben. Cameron traf nach Faymann auch mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner zusammen. Doch Differenzen in Details sind noch nicht ausgeräumt. Cameron wirbt beispielsweise dafür, dass nationale Parlamente die Möglichkeit erhalten sollen, unerwünschte EU-Gesetzesvorhaben abzuschmettern. Laut Lissabon-Vertrag haben mehrere Parlamente gemeinsam derzeit nur die Möglichkeit, Entscheidungen zu verzögern. Setzt sich Cameron mit seinen nationalen Vetos durch, würde dies die Rechtssetzung auf EU-Ebene deutlich erschweren.
Die britische Regierung will darüber hinaus das Ziel einer „ever closer union“ nicht mehr mittragen. Das kann bedeuten, dass kein weiteres Politikfeld gemeinsam geregelt werden kann. Dies könnte beispielsweise Pläne für eine möglichst breite Kooperation in Steuerfragen – etwa bei der Finanztransaktionssteuer – behindern. Das ist aber Faymanns Steckenpferd.
Obwohl Großbritannien bereits eine Ausnahmeklausel bei der Währungsunion hat, will es von Entscheidungen der Euroländer nicht mehr betroffen sein. Hintergrund ist die Angst vor Kontrolle von Banken und Finanzdienstleistern in der Londoner City. Gleichzeitig verlangt Cameron aber, dass Großbritannien über alles mitentscheiden darf, was in der Eurozone beschlossen wird und sein Land tangieren könnte. Für viele EU-Partner ist diese Kombination von Wünschen nicht nachvollziehbar.
Weniger heikel ist für Österreich eine von Cameron geforderte Neuregelung der Freizügigkeit. „Auch wir wollen Sozial- und Wohlfahrtstourismus verhindern“, so Vizekanzler Mitterlehner. Allerdings könne dies nicht zu einer Einschränkung der Grundfreiheiten in der EU führen. Auf Sympathien dürfte Camerons Forderung stoßen, die Arbeitnehmerfreizügigkeit von der wirtschaftlichen Konvergenz abhängig zu machen. Seine Forderung nach einer Wartezeit von vier Jahren für alle nationalen Sozialleistungen geht vielen EU-Partnern hingegen zu weit, auch sein Wunsch nach einem kompletten Stopp aller Überweisungen von Kinderbeihilfen in andere EU-Länder ist umstritten. Die ÖVP hat dazu eine Kompromissvariante ins Spiel gebracht. Außenminister Sebastian Kurz schlug vor, die Kinderbeihilfe für jenen Teil der Familie, der nicht mitgezogen ist, an das Preisniveau des Heimatlands anzupassen.
Zustimmung von Österreich kann Cameron bei seinen Forderungen nach einer schnelleren Realisierung des digitalen Binnenmarkts erwarten.
In einem Punkt dürfte es allerdings auch am Donnerstag keine Annäherung gegeben haben. Cameron ist über die österreichische EU-Klage gegen das AKW Hinkley Point C verärgert. Das britische Außenministerium hat bereits mit Vergeltung gedroht, denn die Klage hat dazu geführt, dass Investoren mit Beteiligungen am Kraftwerksbau abwarten. Doch der Regierung in Wien geht es nicht allein um eine Ablehnung der Kernkraft. Sie argumentiert, dass London Atomkraft staatlich fördert und damit den Wettbewerb zulasten erneuerbarer Energiequellen verzerrt.
AUF EINEN BLICK
David Cameron plant ein Referendum über die weitere Mitgliedschaft in der EU. Es soll womöglich bereits im Sommer 2016 stattfinden. Der britische Premier wirbt nun auf einer Rundreise durch europäische Hauptstädte für eine Reform der EU im Sinn seiner Regierung. Sollte er seine Forderungen durchsetzen, so das Kalkül, könnte das Referendum für einen Verbleib in der EU ausgehen. Die Wünsche sind allerdings sehr umfassend. Cameron verlangt Einschränkungen der Freizügigkeit und Blockademöglichkeiten gegen eine Weiterentwicklung der Europäischen Union.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2015)