Wie der Feind zum neuen Partner wurde

Geschichte I. Deutschland sollte nach dem Krieg machtlos bleiben. Der Ausweg war ein gemeinsames Europa.

Deutschland lag nach dem Zweiten Weltkrieg wirtschaftlich am Boden. 7,9 Millionen Vertriebene suchten in den von Bomben zerstörten Städten eine neue Heimat. Die Siegermächte Großbritannien, Frankreich, die USA und Russland teilten das Land unter sich auf. Es war keine Zeit, in der es nach einer rosigen Zukunft aussah. Schon gar, da zwei der Besatzungsmächte einen neuen schweren Konflikt begannen, der in den Kalten Krieg mündete.

Intensiv war schon in den letzten Kriegsjahren nach einer politischen Lösung für Deutschland nach dem Zusammenbruch des Hitler-Regimes gesucht worden. Der britische Premier, Winston Churchill, brachte aus taktischen Gründen eine Idee auf, die später als Grundlage für eine künftige Zusammenarbeit der westeuropäischen Staaten diente. Um eine dominierende Stellung der USA oder Russlands in Europa zu verhindern, schlug er die Gründung von Vereinigten Staaten von Europa vor. Sie sollten aus England, Frankreich, Italien, Spanien und Preußen bestehen. Auch an eine Einbindung der skandinavischen und osteuropäischen Länder dachte Churchill.

Der Plan, der von Washington und Moskau vorerst klar abgelehnt wurde, kam wenige Jahre nach Kriegsende erneut auf den Tisch. Vorerst aber wurde von den Siegermächten versucht, in Deutschland eine möglichst dezentrale Verwaltung zu etablieren. Das Land sollte nicht wieder so stark, so zentral regiert werden wie unter Hitler. Es sollten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die eine Wiedererstarkung verhinderten. Josef Stalin befürchtete, das Land könnte sich so wie nach dem Ersten Weltkrieg innerhalb von zwölf bis 15 Jahren erholen. Der sowjetische Machthaber plante deshalb, das Land zu zerschlagen und Polen als Puffer einzurichten.

Es war die besondere Pattstellung zwischen den Großmächten und die politische Konstellation im Nachkriegseuropa, die Deutschland ohne viel eigenes Zutun in das Konstrukt einer europäischen Gemeinschaft trieb. 1950 präsentierte der französische Außenminister, Robert Schuman, den Plan für eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit der europäischen Staaten. Kohle und Stahl, die beiden wichtigsten Rohstoffe in der Kriegsindustrie, sollten künftig gemeinsam verwaltet werden. Deutschland, so sein Plan, sollte in eine enge Abhängigkeit der europäischen Mächte eingebunden und damit auch kontrollierbar werden. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle- und Stahl (EGKS) war aber nicht nur ein strategischer Schritt. Frankreich setzte damit einen großzügigen Akt, denn es gestand ein, dass auch seine eigenen Ressourcen künftig in die gemeinsame Verwaltung eingebracht wurden. Schuman bot Deutschland eine Kooperation auf Augenhöhe an und fand in Bundeskanzler Konrad Adenauer einen für diese Idee begeisterten Partner.

Schuman war durch seine Lebensgeschichte ein idealer Mediator für Nachkriegsdeutschland. Er hatte im Ersten Weltkrieg für die deutsche Verwaltung gearbeitet und wurde erst durch die Abtrennung Lothringens zum Franzosen. Die Befriedung der Beziehungen zwischen Frankreich und Deutschland waren ihm ein Herzensanliegen. Adenauer wiederum wusste, dass eine Nachkriegsordnung auch im Sinn seines Landes nur durch eine Friedensgemeinschaft erfolgen konnte. Er hatte nicht so weit gedacht wie Schuman, aber er schlug bereits 1950 eine gemeinsame Zollunion zwischen Frankreich und Deutschland vor. Außerdem sprach er sich für die Gründung eines gemeinsamen Wirtschaftsparlaments aus.

„Zeit des Nationalstaats ist vorüber“

Einer engen Kooperation der beiden ehemaligen Feinde stand allerdings noch eine Lösung für das Saarland entgegen. Frankreich hatte das Gebiet nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem deutschen Staatsverband herausgelöst und es eng an sich gebunden. Es dauerte bis 1955, bis das Saarland per Volksabstimmung wieder an Deutschland angegliedert wurde.

1953 schrieb Adenauer einen Artikel für die „Neue Literatur“, in dem er seine Argumente für ein gemeinsames Europa niederschrieb. „Dieser erste Zusammenschluss birgt in sich die Größe und den Reichtum des europäischen Gedankens und wird in der Zukunft eine magnetische Anziehungskraft ausüben. Die Zeit des Nationalstaats ist vorüber.“ Das gemeinsame Europa, so die Überzeugung Adenauers, müsste über eine rein wirtschaftliche Zusammenarbeit hinausgehen. Es sollten eine gemeinsame Verwaltung und eine enge politische Zusammenarbeit mit übergeordneten Institutionen entstehen. Deutschland war allerdings zu diesem Zeitpunkt eher bereit, auf Souveränität zu verzichten als Frankreich oder die anderen Gründungsstaaten der 1957 aus der Taufe gehobenen Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). (wb)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2015)

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