Neue nationalkonservative Regierung in Polen dürfte eine Kürzung der EU-Strukturfonds in Kauf nehmen, um einer fixen Flüchtlingsquote zu entgehen.
Brüssel. Der Minigipfel der Gleichgesinnten, der am Sonntag vor dem offiziellen Gipfeltreffen EU–Türkei stattgefunden hat (siehe oben), hatte nicht nur einen pragmatischen Zweck, sondern war auch als Botschaft gedacht – und zwar an jene Mitgliedstaaten, die sich gegen die Aufnahme von Asylwerbern sperren. Dass der Kreis der Teilnehmer nahezu identisch war mit jener Gruppe, die sich gemäß einer niederländischen Idee zu einer Schengenzone im Kleinformat zusammenschließen sollten, ist ein klares Signal an die Mittel- und Osteuropäer.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte vergangene Woche den Fortbestand des Europa ohne Grenzen an eine EU-weite Verteilung der Flüchtlinge per Quote geknüpft – hinzugekommen sind neuerdings Forderungen nach finanziellen Folgen für Quotenverweigerer, etwa durch eine Umschichtung der EU-Strukturfonds. Das Geld wird dringend gebraucht, denn die Europäer haben der Türkei drei Mrd. Euro zugesagt. Sollten die Nationalregierungen die benötigte Summe nicht aufstellen, müsste die etwaige Differenz wohl aus den Töpfen der EU kommen – zum Nachteil der osteuropäischen Nettoempfänger, die von diesen Mitteln überdurchschnittlich profitieren. Dass die sonntägliche „Neigungsgruppe Türkei“ mit Ausnahme Griechenlands aus EU-Nettozahlern bestand, war also kein Zufall.
Nicht glaubwürdig
Dieses Unterfangen ist allerdings durch den fulminanten Wahlsieg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) in Polen erschwert worden. Aus den (neuen) regierungsnahen Kreisen in Warschau lässt sich nämlich vernehmen, dass PiS dazu bereit sei, einen Rückgang der Strukturmittel in Kauf zu nehmen, um sich von der Verpflichtung freizukaufen, Flüchtlinge systematisch aufzunehmen. Für das polnische Budget viel bedeutsamer sind in dem Zusammenhang ohnehin die Agrarförderungen. Und eine Drohung mit der Kürzung der Agrargelder wäre nicht glaubwürdig, denn der größte Nutznießer dieser Förderungen ist nicht Polen, sondern Frankreich – wo sich eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Aufnahme von Flüchtlingen ausspricht und der rechtspopulistische Front National am Vormarsch ist. Auch das Drohpotenzial der Schengenzone ist überschaubar, denn ihre Abschaffung würde ja nicht das Ende der Reisefreiheit bedeuten, sondern lediglich die Wiedereinführung von Grenzkontrollen – was den zigtausend Osteuropäern, die jede Woche zwischen ihrer Heimat und Großbritannien pendeln, ohnehin bestens vertraut ist.
Interessengemeinschaften gibt es übrigens auch im Osten der EU. Am Freitag schickten die Regierungen Polens, Ungarns, Rumäniens, Litauens, Lettlands, Estlands und der Slowakei einen Brief an die EU-Kommission, um gegen den bevorstehenden Baubeginn der zweiten Ostsee-Gaspipeline zwischen Russland und Deutschland zu protestieren – sie werfen Berlin unsolidarisches Verhalten vor. (la)
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2015)