Premier Cameron erwartet für seine Reformvorschläge an die EU-Partner keinen Durchbruch beim Dezembergipfel.
London. Premierminister David Cameron reist derzeit durch alle EU-Hauptstädte, um für eine Reform der Europäischen Union nach britischen Vorstellungen zu werben. Am Mittwoch wurde er in Warschau erwartet. Doch für seinen einstigen Plan, bereits beim EU-Gipfel am 17. und 18. Dezember eine Einigung zu erzielen, gibt es kaum noch Hoffnung. „Wir brauchen Zeit dafür, dass unsere Anliegen angemessen angesprochen werden. Das Wichtigste ist, dass die Substanz stimmt“, ruderte Cameron zuletzt in Sofia zurück. Zum Verlauf der Verhandlungen meinte der Premier: „Es ist schwierig. Wir werden uns nicht in einem Anlauf einigen, und daher erwarte ich keine Vereinbarung bei dem Gipfel im Dezember. Aber wir werden den Fuß nicht vom Gas nehmen.“
Der Rückzieher, den Cameron zuvor in einem privaten Telefonat mit der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, abgesprochen hat, folgt Tagen hektischer Aktivität Londons, mit den EU-Partnern eine Vereinbarung zu erzielen. London hat im November in einem Brief an EU-Ratspräsident Donald Tusk vier Themen für die Neuordnung seines Verhältnisses mit der Union festgelegt. Der britische Europa-Staatssekretär, David Lidington, sagte dazu vor Korrespondenten in London: „Wir wollen Reformen, die gut für Europa sind und es den Briten erlauben, sich mit ihrem Platz in der EU wohler zu fühlen.“ Im Mittelpunkt stehen Forderungen, „die Anziehungsfaktoren für Migration zu reduzieren“, wie es Lidington formuliert. Die britische Regierung stelle das EU-Prinzip der Freizügigkeit nicht infrage, es stehe aber „offensichtlich in Konflikt“ mit der Festlegung von Sozialleistungen auf nationaler Ebene. „Die Integration einer sehr großen Zahl von Menschen in sehr kurzer Zeit erzeugt enormen Druck“, warnte der Staatssekretär. Allein in den vergangenen zehn Jahren sei die britische Bevölkerung um 2,5 Millionen gewachsen.
Zusagen reichen aus
Man habe den EU-Partnern Vorschläge gemacht und sei „auf viel Verständnis“ gestoßen, so Lidington. London ist hier offenbar bereit, sich auf Zusagen zu verlassen: „Wir akzeptieren, dass Vertragsänderungen in kurzer Zeit nicht möglich sein werden. Aber wir brauchen eine ganze Palette an verbindlichen Zusagen, Erklärungen und Verpflichtungen, um vor unser Volk treten zu können.“
Die Briten sollen bis Ende 2017 in einer Volksabstimmung über den EU-Verbleib abstimmen. Die Regierung hat zuletzt mächtig aufs Tempo gedrückt, um das Thema, das sie intern stark belastet, abzuhaken. Dass Cameron auf dem Gipfel im Dezember keine Einigung erwartet, sieht wie eine Niederlage aus. Sein Wunschtermin für ein Referendum im Juni 2016 wird damit kaum mehr zu realisieren sein, wie auch Lidington einräumt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.12.2015)