EU-Gipfel: Machtrochaden in Brüssel

(c) Reuters (Francois Lenoir)
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José Barroso wird die EU-Kommission nach dem Wunsch der Regierungen für fünf weitere Jahre führen. Nun beginnt das politische Geschicklichkeitsspiel um die wichtigsten Posten in seinem Team.

BRÜSSEL/WIEN.Alle fünf Jahre brodelt es in der Brüsseler Gerüchteküche in jedem Topf. Sobald das Europäische Parlament gewählt ist und sich die Staats- und Regierungschefs geeinigt haben, wer Präsident der EU-Kommission werden soll, geht es in den Couloirs der Botschaften und Kommissionsdienststellen zu wie auf dem Fußballtransfermarkt. Wer wird Wettbewerbskommissar? Welches Dossier krallen sich die Deutschen? Wie sichern sich die Franzosen den Einfluss auf das EU-Agrarbudget, ohne selbst den Agrarkommissar zu stellen? Und wie schaffen es die Briten wieder, kein wirklich gewichtiges Ressort zu übernehmen, aber trotzdem eine liberale Linie in Handels- und Finanzfragen zu garantieren? Allerlei Gerüchte kochen nun hoch: reizvoll, aber spekulativ. Sinnvoller ist es, den Hintergrund auszuleuchten, vor dem der Umbau der Kommission abläuft.

Politisch schwache EU-Behörde

Da zeigt sich, dass in den ersten fünf Jahren des alten und neuen Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso das Ansehen der EU-Behörde gesunken ist. Von seinem Antritt 2004 bis zum letzten Herbst ist laut Eurobarometer-Umfrage das Vertrauen in die Kommission von 52 auf 47 Prozent gesunken. Das Misstrauen stieg von 27 auf 30 Prozent.

Woran lag das? Piotr Maciej Kaczy?ski vom Brüsseler Centre for European Policy Studies hat EU-Analysten in 25 Mitgliedstaaten (Österreich und Malta fehlten) befragt, wie die Kommission „zu Hause“ wahrgenommen wird. Sein Befund: Barrosos Team sei unbeliebt, weil es politisch motivierte Entscheidungen hinsichtlich der größeren Mitgliedstaaten getroffen habe und bürokratisch gerechtfertigte gegenüber den kleineren.

Darum wird Barroso alle Wünsche der Großen, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien und Polen erfüllen. Das heißt nicht automatisch, dass zum Beispiel Frankreich den für die französische Innenpolitik sehr wichtigen Posten des EU-Landwirtschaftskommissars bekommt. Anzunehmen ist eher, dass das ein Politiker aus einem kleinen Land wird, der in Agrarfragen voll auf Frankreichs Linie ist – jemand wie Wilhelm Molterer etwa.

Zumal Frankreich ohnehin lieber ein gewichtiges Wirtschaftsressort hätte, so wie auch die Polen. Mit der patenten Wirtschafts- und Finanzministerin Christine Lagarde und Michel Barnier, der schon einmal EU-Regionalkommissar war, hätte Paris zwei Schwergewichte im Rennen.

Auch Deutschland möchte ein Wirtschaftsressort, man kann an jenes für Binnenmarkt, Wettbewerb oder Industrie denken. Letzteres führt bisher der SPD-Mann Günter Verheugen, er gilt als geschickter kommissionsinterner Lobbyist der deutschen Industrie. Die CDU-Männer Friedrich Merz und Wolfgang Schäuble stehen nun dem SPD-EU-Mandatar Martin Schulz gegenüber, mitentscheiden wird wohl die Bundestagswahl im Herbst.

Die Briten könnten – falls Labour nicht im Herbst abgewählt wird – ihre Handelskommissarin Catherine Ashton wiederbestellen, sagt Clara O'Donnell vom Londoner Centre for European Reform zur „Presse“. Sie weist darauf hin, dass einige Dossiers gespalten werden dürften. So könnte es einen eigenen Kommissar für Finanzdienstleistungen und einen für Klimapolitik geben. Ersteren hätten die Briten gerne, doch der angloamerikanische Finanzkapitalismus ist in Kontinentaleuropa so stark angepatzt, dass dieser Londoner Wunsch unerfüllt bleiben dürfte.

Mächtiger dürfte, man denke an die russisch-ukrainischen Gaskrisen, der Energiekommissar werden. Er soll, wünscht die Kommission, künftig die Gasreserven der Mitgliedstaaten verwalten. Die Slowakei hätte diesen Posten gern. Da ist sie wohl nicht allein. Unter anderem will auch Polen eines der wichtigsten Ressorts.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2009)

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