Flüchtlinge. Budapest verschärfte Asylrecht und sperrt sich gegen Quoten. Verfahren laufen auch gegen Italien, Griechenland, Kroatien.
Brüssel/Wien. Die EU-Kommission hat die Geduld verloren und gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren wegen seiner Asylvorschriften eingeleitet. Bereits im Juli und September hatte die Brüsseler Behörde der Regierung in Budapest ihre Bedenken mitgeteilt. Diese seien jedoch mit der Antwort aus Ungarn nicht ausgeräumt worden, hieß es am Donnerstag. Die ungarischen Behörden haben nun zwei Monate Zeit, um der Kommission zu antworten.
Aus einem Schreiben der zuständigen Generaldirektionen an den ungarischen EU-Botschafter, Oliver Varhelyi, von Mitte Oktober geht hervor, dass unter anderem „eine mögliche quasisystematische Abweisung von Anträgen für internationalen Schutz an der Grenze zu Serbien“ und „ein möglicher Mangel von ausreichenden Sicherheiten in dem an der Grenze durchgeführten Asylverfahren“ kritisiert werden. Die Kommission bezweifelt auch die Existenz wirksamer Rechtsmittel zur Anfechtung einer Asylentscheidung in Ungarn. Dass Budapest die Vollmachten für das Grenzmanagement an die Armee übertragen hat, ist der Kommission ebenfalls ein Dorn im Auge. Ungarn hat wegen des Flüchtlingszustroms bekanntlich seine grüne Grenze geschlossen und mit einem Zaun gesichert. Zudem sperrt sich das Land – wie andere osteuropäische Mitgliedstaaten – gegen eine Quote, mit der die Zuwanderer auf die gesamte EU verteilt werden sollen.
Doch auch Italien, Griechenland und Kroatien sehen sich als Folge der Flüchtlingskrise EU-Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt – anders als Ungarn aber wegen der mangelnden Registrierung Asylsuchender. Die drei EU-Länder wurden aufgefordert, die Eurodac-Verordnung umzusetzen, nach der Fingerabdrücke von Flüchtlingen zu nehmen und die Daten innerhalb von 72 Stunden an das Zentralsystem Eurodac zu übermitteln sind. Die ordnungsgemäße Anwendung der Eurodac-Verordnung sei für das Funktionieren des Dublin-Systems, wonach jenes Land für das Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Flüchtling erstmals europäischen Boden betreten hat, unerlässlich, betont die Behörde.
Rom, Athen und Zagreb kamen der Aufforderung bisher aber nicht nach: So wurden in Griechenland von Ende Juli bis Ende November 492.000 Ankünfte von Migranten verzeichnet, aber nur 121.000 Registrierungen an Eurodac versendet. In Kroatien wurden gar nur 575 Fingerprints genommen – bei 340.000 Flüchtlingen seit Mitte September. Auch in Italien ist das Missverhältnis groß: Seit Ende Juli strandeten dort 65.000 Migranten, aber nur 29.000 Fingerabdrücke wurden versendet. Österreich kritisiert seit Langem, dass südliche Mittelmeerstaaten die Flüchtlinge einfach nach Norden weiterziehen lassen – wobei die hiesigen Behörden mittlerweile Gleiches tun. (APA/red.)
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2015)