Faktencheck: Grenzkontrollen reduzieren Kriminalität nicht

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Ein FPÖ-Politiker behauptet, seit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen würden Einbrüche in Niederösterreich um 35 Prozent zurückgehen. Die Polizei hat dafür keinen Beleg. Langfristige Statistiken zeigen eher das Gegenteil.

Wien. Seit bald drei Monaten wird an den wichtigsten österreichischen Grenzübergängen – wie Nickelsdorf, Spielfeld oder am Walserberg – wieder kontrolliert. Das Schengen-Abkommen ist wegen der Flüchtlingswelle bis auf Weiteres ausgesetzt. FPÖ-Europaabgeordneter Harald Vilimsky ortet bereits einen Rückgang der Kriminalität und spricht sich deshalb für fortdauernde Grenzkontrollen aus. Bei einem Gespräch mit Journalisten in Brüssel behauptete er, die Einbrüche in Niederösterreich seien seit September um 35 Prozent zurückgegangen. Doch die niederösterreichische Landespolizeidirektion (LPD) weist solche Behauptungen zurück.

„Ich weiß nicht, woher die FPÖ solche Zahlen hat“, so der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der LPD Niederösterreich, Markus Haindl. „Ich kann das nicht bestätigen.“ Haindl wertete für die „Presse“ die Evidenz der polizeilichen Ermittlungen seit September aus. Diese interne Datenbank hilft der Polizei bei der Planung und Ressourcenverteilung. In diesen Zahlen ist ein so deutlicher Rückgang nicht zu beobachten. Seit Ende 2014 sinkt laut Haindl die Zahl der Einbrüchen in private Wohnungen und Häuser leicht. Gestiegen seien hingegen Einbrüche in Keller. Da üblicherweise gegen Ende des Jahres die Zahl der Einbrüche steigt, könnte letztlich fast das gleiche Ergebnis wie im vergangenen Jahr herauskommen. „Wir hoffen aber auf eine geringfügige Verbesserung“, so Haindl. 2014 gab es in Niederösterreich insgesamt 3231 Einbrüche in Wohnungen und Häuser.

Auf eine reduzierte Kriminalität durch die Wiedereinführung von Grenzkontrollen ließen auch Äußerungen von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) schließen. Sie wies – übrigens nach Äußerungen von FPÖ-Politikern zu einem erhöhten Kriminalitätsrisiko durch die Masse von ankommenden Asylwerbern – darauf hin, dass in den Grenzgebieten Spielfeld und Radkersburg die Kriminalität gesunken sei. Die Landespolizeidirektion Steiermark wollte auf Anfrage der „Presse“ allerdings dies nicht bestätigen. Die Statistik werde erst erstellt und im März 2016 veröffentlicht, so die Auskunft.

Da Grenzkontrollen vor allem auf besondere Personengruppen – wie beispielsweise illegale Zuwanderer – abzielen und meist nur stichprobenartig durchgeführt werden, sind sie für die systematische Reduzierung der Kriminalität nicht geeignet. Sie könnten lediglich, so versichern Sicherheitsexperten, abschreckend auf kriminelle Banden wirken, die allein wegen geplanter Einbrüche und Diebstähle nach Österreich einreisen.

Dass zwischen Grenzkontrollen und Kriminalitätsrate kein eindeutiger Zusammenhang besteht, belegt eine Auswertung des langfristigen Trends. Nachdem im Jahr 2007 die Kontrollen an Österreichs Ostgrenzen (Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien) beendet wurden, hätte dies – im Sinne der FPÖ-Behauptungen – eigentlich zu einem erkennbaren Anstieg von Einbrüchen, Autodiebstählen und anderer Kleinkriminalität führen müssen. Doch ist die Gesamtkriminalität laut Auswertungen des Innenministeriums (siehe Grafik) seit damals gesunken. Weniger kriminelle Delikte gab es nicht nur im Westen des Landes wie etwa in Tirol, sondern auch in der Steiermark oder Niederösterreich – also jenen Regionen, die direkt an der geöffneten Ostgrenze liegen. Im Burgenland und Wien blieben die Zahlen weitgehend stabil.

Weniger Einbrüche als vor Öffnung

Bei Einbrüchen in Wohnungen und Wohnhäusern gab es in den ersten Jahren nach der Grenzöffnung bundesweit einen leichten Anstieg: von 18.896 Einbrüchen im Jahr 2006 auf 21.165 Einbrüche im Jahr 2009. Bereits damals wurde von einzelnen Politikern und Medien ein Zusammenhang mit der Schengen-Öffnung vermutet. Doch die Zahl sank in den Folgejahren deutlich unter jenen Wert vor Aufhebung der Grenzkontrollen. 2014 zählte die Polizei bundesweit 17.109 solcher Delikte. Einen noch deutlicheren Trend gab es in Niederösterreich. Dort ist die Einbruchkriminalität bereits in den ersten Jahren nach der Grenzöffnung deutlich zurückgegangen. Von 4000 Einbrüchen in Wohnungen und Häuser im Jahr 2007 auf 2532 im Jahr 2010, danach ist sie wieder leicht angestiegen.

Auch die offiziellen Statistiken des Innenministeriums zu anderen Delikten zeigen österreichweit keine signifikante Änderung nach dem Wegfallen der Grenzkontrollen. Die Zahl der Gewaltdelikte ist zwar vorübergehend gestiegen, liegt aber mittlerweile fast auf dem gleichen Niveau wie 2006. Die der Autodiebstähle sank von 8419 im Jahr vor der Grenzöffnung auf nur noch 3347 im vergangenen Jahr. Diese Verbesserung dürfte auf eine effizientere Ermittlung und das koordinierte Vorgehen gegen organisierte Kriminalität in Europa zurückzuführen sein. Das Beispiel KfZ-Diebstähle belegt zudem ein anderes Phänomen: Das Schengen-Abkommen erschwert nicht nur die polizeilichen Maßnahmen, es führte auch zu effizienteren Ermittlungen. Denn mit der Umsetzung des Abkommens wurden die grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit verstärkt und eine europaweite Datenbank aufgebaut, in der nicht nur gesuchte Personen, sondern auch gestohlene Fahrzeuge abrufbar sind.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2015)

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