EU-US-Freihandel: „TTIP-Vertrag bis Ende 2016 möglich“

 Die bisher größte Protestaktion gegen TTIP in Berlin.
Die bisher größte Protestaktion gegen TTIP in Berlin.(c) REUTERS (FABRIZIO BENSCH)
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Stolpersteine behindern auch 30 Monate nach Verhandlungsbeginn die Gespräche, doch es könnte nun Fortschritte geben. Das EU-Parlament muss den Vertrag am Ende absegnen.

Brüssel. Es war nicht das Jahr der TTIP-Befürworter – diese Bilanz lässt sich nüchtern ziehen, hat doch der Protest gegen das geplante transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA in den vergangenen zwölf Monaten einen neuen Höhepunkt erreicht. Bis zu eine Viertelmillion Menschen gingen im Oktober bei der bisher größten Protestaktion in Berlin auf die Straße; auch hierzulande ist der Unmut groß. 141.412 Österreicher unterzeichneten eine europäische Bürgerinitiative gegen TTIP – gemessen an der Bevölkerungszahl ein Spitzenwert: Europaweit gab es 3,26 Millionen Unterschriften.

Die größten Kritikpunkte sind hinlänglich bekannt. Mangelnde Transparenz im Verhandlungsprozess zwischen EU-Kommission und Regierung in Washington, die gefürchtete Aushöhlung von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards sowie die bisher geplanten privaten Schiedsgerichtsverfahren (ISDS). Im EU-Parlament, das einem Vertrag am Ende zustimmen muss, ist die Stimmung zu Jahresende dennoch verhalten optimistisch. „Die negativen Konsequenzen eines ungezügelten Kapitalismus müssen verhindert werden, und dafür braucht man gemeinsame Regeln“, mahnt Bernd Lange (SPD), der parlamentarische TTIP-Berichterstatter, im „Presse“-Gespräch. Ein Abkommen biete die Chance, Standards auf hohem Niveau festzulegen, anstatt sie zu untergraben, hofft er.

Position der USA unbekannt

Auch den Vorwurf der Geheimhaltung entkräftet der SPD-Politiker: Ein Mehr an Transparenz sei inzwischen erreicht; seit einigen Wochen haben alle 751 EU-Abgeordneten Zugang zu den Verhandlungsdokumenten, grundlegende Gesprächsprotokolle sind für Bürger im Internet einsehbar.

Zugeständnisse musste die EU-Kommission aber besonders beim Investorenschutz machen. Im September sandte Handelskommissarin Cecilia Malmström einen neuen Vorschlag nach Washington, der auf eine Streitschlichtung in öffentlichen Anhörungen vor einem EU/US-Handelsgerichtshof abzielt; Urteile sollen öffentlich berufene Richter fällen. Offiziell ist die Position der USA dazu bisher unbekannt – wie „Die Presse“ aus eingeweihten Kreisen in Brüssel erfuhr, gibt es aber „kein klares Nein“. Man müsse dem Verhandlungspartner in Washington nun „gewisse Zeit geben, sich mit dem neuen Vorschlag anzufreunden“, heißt es.

Doch die anhaltende Debatte über den Investorenschutz ist nicht der einzige Stolperstein bei den Gesprächen zwischen Brüssel und Washington. Zuletzt hatte es von EU-Seite zunehmend Kritik an der „mangelnden Reziprozität“ im Verhandlungsprozess gegeben: Auf zahlreiche Angebote sei kein ernsthafter Vorschlag zurückgekommen, kritisierte der französische Staatssekretär für Außenhandel, Mathias Fekl, der sogar mit einem Verhandlungsstopp gedroht hatte. Auch Lange sieht die „Hinhaltetaktik der Amerikaner“ kritisch.

30 Monate nach Verhandlungsbeginn ist, das zeigt ein von der Website Politico eingesehenes Dokument, nicht einmal die Hälfte der insgesamt 24 Verhandlungskapitel abgeschlossen. Zu zehn Kapiteln wurden keine Positionen ausgetauscht; andere sind unvollständig verhandelt. Lange hält einen erfolgreichen Abschluss der Gespräche bis Ende nächsten Jahres deshalb für „ambitioniert, aber nicht unmöglich“. Sollte dies aber nicht gelingen, würden die Karten unter einer neuen US-Administration „neu gemischt“.

„TTIP nicht um jeden Preis“

Auch Daniel Caspary, Koordinator der Europäischen Volkspartei (EVP) im Ausschuss für Internationalen Handel, glaubt an die Möglichkeit eines ausverhandelten Abkommens bis Ende 2016 – „wenn der politische Wille da ist“. TTIP dürfe es jedoch „nicht um jeden Preis geben“, warnt der Deutsche. Er kenne im EU-Parlament aber ohnehin „keinen einzigen Abgeordneten, der für einen Vertrag stimmen würde, der jene Dinge beinhaltet, vor denen die Menschen Angst haben“. Das Prüfungsverfahren in der europäischen Bürgervertretung dauert zwei Jahre – und für die Sozialdemokraten würden mehrere Punkte als Conditio sine qua non für eine Zustimmung gelten, so Lange: darunter starke Arbeitnehmerrechte, hohe Standards im Verbraucherschutz sowie der Verzicht auf private Schiedsgerichte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2015)

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