Schicksalsjahr für die EU

Tourism As Outlook For Pound Darkens Amid European Union Referendum Talk
Tourism As Outlook For Pound Darkens Amid European Union Referendum Talk(c) Bloomberg (Simon Dawson)
  • Drucken

Terrorangst und Brexit-Gefahr machen 2016 zu einer großen Herausforderung.

Wien/Brüssel. Mit Schrecken blicken Europas Entscheidungsträger auf das Krisenjahr 2015 – und gleichzeitig in eine für die Union ungewisse Zukunft: Denn auch die kommenden zwölf Monate werden, so viel lässt sich sagen, zu einer großen Herausforderung. Die Flüchtlingswelle, der Kampf gegen den Terrorismus, die nach wie vor schwelende Eurokrise und die britischen Forderungen nach einer Neuordnung der EU halten Europa auch 2016 in Atem.


Flüchtlingskrise. Seit Angela Merkels „Wir schaffen das“ im vergangenen September teilt sich die EU bekanntlich in zwei Lager: die, die mehr Solidarität und eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten einfordern, und die, die davon nichts wissen wollen. Die geplante Umsiedlung von 160.000 in Griechenland und Italien gestrandeten Schutzsuchenden stockt; auch die in beiden Mittelmeerländern geplanten Hotspots zur Registrierung der Ankömmlinge sind großteils noch nicht funktionsfähig. Massive, besonders an die griechischen Behörden gerichtete Kritik wegen mangelhaften Schutzes der EU-Außengrenze rief zuletzt die EU-Kommission auf den Plan: Ein neuer Vorschlag der Brüsseler Behörde sieht die Schaffung einer EU-Grenzschutztruppe mit mindestens 1500 Mann vor, die notfalls auch gegen den Willen eines Mitgliedstaats eingesetzt werden soll. Die Regierungen wollen über das Vorhaben noch während der niederländischen Ratspräsidentschaft in den kommenden sechs Monaten entscheiden. Auch die Zusammenarbeit mit dem in der Flüchtlingskrise wichtigen Transitland Türkei soll 2016 intensiviert werden.


Terrorismus. Nach den verheerenden Anschlägen in Paris vom 13. November mit 130 Toten steht der internationale Kampf gegen den Terrorismus ganz oben auf der Agenda der EU-Staats- und Regierungschefs. Ein gemeinsames Anti-Terror-Zentrum bei der Polizeibehörde Europol, das am 1. Jänner eröffnet wird, soll den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten verbessern. Um zu verhindern, dass „Gefährder“ mit europäischem Pass unerkannt ins Ausland reisen, sich dort radikalisieren und wieder in die Union zurückkehren, wird es an den EU-Außengrenzen künftig auch für EU-Bürger strengere Kontrollen geben. Die EU will zudem den Kampf gegen internationalen Waffenschmuggel und Terrorfinanzierung verstärken. Im Jänner dürfte das Plenum des EU-Parlaments eine Einigung auf das europäische Fluggastdatenregister (PNR) absegnen: Passagierdaten innereuropäischer Flüge sollen künftig für sechs Monate unverschlüsselt gespeichert werden. Ein gemeinsamer EU-Geheimdienst, wie ihn die Kommission wünscht, dürfte aber am Widerstand mehrerer Länder scheitern.


Großbritannien. Beim EU-Gipfel im Februar will der britische Premier, David Cameron, neue Konditionen für die EU-Mitgliedschaft seines Landes aushandeln. Gelingt dies nicht, droht der Premier, vor dem geplanten Referendum – das möglicherweise schon 2016, spätestens aber 2017 stattfindet – für einen Austritt zu werben. Die Forderungen Camerons sind bekannt: eine Abkehr von der in den Verträgen festgelegten „immer engeren Union“, eine Stärkung der EU-Wettbewerbsfähigkeit, mehr Rechte für Nicht-Euro-Länder sowie eine Einwanderungsbegrenzung und eine Kürzung der Sozialleistungen für EU-Ausländer. Besonders der letzte Punkt ist strittig, weil dies die Freizügigkeit – einen der Grundpfeiler der Union – einschränken würde.

Eurokrise. Der Nervenkrieg um Griechenland, der die ersten sechs Monate des Jahres 2015 prägte, scheint vorerst überstanden. Verhaltenes Lob für die Reformanstrengungen im dritten Hilfsprogramm gab es zuletzt von der Euro-Gruppe, auch die Bankenrekapitalisierung dürfte weniger Geld kosten als ursprünglich befürchtet. Die Wachstumsraten für 2016 zeigen nach oben. Sorgen bereitet den Europartnern jedoch Portugal: Dort hat die neue Linksregierung eine Kehrtwende in der bisher rigiden Sparpolitik angekündigt.

TTIP: Die EU-Kommission setzt alles daran, die Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP bis Ende 2016 – also noch mit der aktuellen US-Administration – abzuschließen. Allerdings sind bisher nicht einmal die Hälfte aller Kapitel ausverhandelt, der Bürgerprotest – besonders in Österreich und Deutschland – bleibt zudem ungebrochen groß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.