TTIP könnte rechtliche Waffengleichheit verzerren

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Mit dem Zugang zu Schiedsgerichtsverfahren haben internationale Unternehmen mehr rechtliche Optionen, gegen Willkür im Gastland vorzugehen als europäische Betriebe, die sich in einem EU-Land engagieren.

Wien. Eines der umstrittensten Elemente des Investoren- und Handelsabkommens zwischen der EU und den USA (TTIP) bleibt der Investorenschutz. Die Möglichkeit von US-Unternehmen, in Europa ein Schiedsgericht anzurufen, sobald sie das Gefühl einer Diskriminierung haben, und das gleiche Recht für EU-Unternehmen in den USA sorgen laut Rechtsexperten für eine Verzerrung. Zum einen, weil Klein- und Mittelbetriebe derart teure Verfahren gar nicht riskieren können, sie also ein Privileg von Großunternehmen bleiben. Zum anderen, weil sie auch eine Verzerrung zwischen transatlantischen Investoren und Investoren innerhalb Europas bringen könnten.

Wie der Europarechtsexperte Walter Obwexer von der Universität Innsbruck im Gespräch mit der „Presse“ bestätigt, hätten beispielsweise österreichische Konzerne wie die Voest, wenn sie innerhalb der EU ein neues Werk errichten wollten, nicht dieselben rechtlichen Möglichkeiten wie ein Konkurrenzunternehmen aus den USA. „Der Investorenschutz geht ja davon aus, dass die eigenen Unternehmen sowieso vom jeweiligen Staat geschützt werden.“ Ein europäischer Stahlkonzern hätte also de facto ein Rechtsinstrument weniger zur Verfügung, um seine Interessen zu wahren. Abseits von Schiedsgerichtsverfahren hätten US-Unternehmen ebenso wie heimische Betriebe die Möglichkeit, die staatliche Gerichtsbarkeit und auch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu nutzen.

Der Investorenschutz wurde geschaffen, um eine Diskriminierung internationaler Unternehmen durch gesetzliche Regelungen oder Auflagen in ihrem Gastland zu verhindern. Doch bisher wurden diese Handelsabkommen zwischen Staaten und nicht wie im Falle von TTIP zwischen einem Staat und einer Staatengemeinschaft (EU) abgeschlossen. Wenn etwa eine französische Verwaltung einen tschechischen Investor durch diskriminierende Auflagen behindert, besteht also keine Waffengleichheit zu einem US-Investor, dem das Gleiche in Frankreich geschieht. Denn nur er hat die Möglichkeit, ein Schiedsgericht anzurufen.

Nur als Vorbild relevant

Europarechtler Obwexer stellt generell die Sinnhaftigkeit eines solchen Investorenschutzes infrage, wenn er in ausgereiften Rechtssystemen wie jenem der USA oder der EU-Staaten Anwendung findet. „Der Vorteil ist äußerst gering.“ Der einzige relevante Grund sei die „Vorbildwirkung“. Die EU werde weitere solche Abkommen mit China oder Indien abschließen. Dabei sei ein Investorenschutz eher notwendig als bei den USA. Doch wenn bereits bei den Verhandlungen mit den Amerikanern darauf verzichtet wurde, sei dies schwer bei künftigen Partnern durchzusetzen, so Obwexer.

Dass der Investorenschutz auch bei großen Konzernen nicht oberste Priorität hat, bestätigte kürzlich der Präsident des europäischen Chemieverbands Cefic, Jean-Pierre Clamadieu. Der Solvay-Chef pries die Möglichkeit von Schiedsgerichtsverfahren abseits der staatlichen Justiz in einem Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ zwar als „gutes Instrument, um sich vor staatlicher Willkür zu schützen“. Er betonte aber auch, dass dies „für die Chemiebranche im Rahmen von TTIP kein Kernanliegen“ sei.

Auf einen Blick

TTIP. Der im Abkommen zwischen der EU und den USA vorgesehene Investorenschutz könnte zu einer Verzerrung der rechtlichen Waffengleichheit führen. US-Unternehmen könnten in einem EU-Land ein Schiedsgericht anrufen, um Konflikte mit Regeln des Gastlands zu bereinigen. Ein europäisches Unternehmen, das in einem anderen EU-Land investiert, hätte diese Möglichkeiten nicht. Es hätte eine rechtliche Option weniger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.01.2016)

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