Warum Renzi Enfant terrible der EU sein will

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ITALY-POLITICS-AGRICULTURE-FINANCE-FOOD(c) APA/AFP/ANDREAS SOLARO
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Italiens Premier erzürnt mit seinen EU-Attacken die EU-Kommission. Hinter der neuen nationalistischen Aggressivität aus Rom steckt innenpolitisches Kalkül: Der Premier hofft auf Stimmen bei der nächsten Wahl.

In Brüssel sollen sie das endlich begreifen. Italien ist zurück: und wir sind jetzt stärker und ehrgeiziger.“ Als stolzer Nationalist präsentierte sich Italiens Premier, Matteo Renzi, auf Facebook, nachdem er wegen seiner Dauerattacken der EU-Kommission erneut einen Rüffel bekommen hatte. Diesmal von der Europäischen Volkspartei: Mit „populistischen Angriffen“ gefährde er die Glaubwürdigkeit der EU, hieß es. Zuvor hatte sich der EU-Kommissionschef ungewöhnlich offen über Renzis Brüssel-Bashing beschwert: Der Premier nütze jede Gelegenheit, um die Kommission schlecht zu machen, klagte Jean-Claude Juncker.

Tatsächlich scheint derzeit der italienische Regierungschef ganz bewusst die Konfrontation mit Brüssel zu suchen. Deutlich wird es an den heftigen Reaktionen, wenn inhaltliche Forderungen abgelehnt werden – wie zuletzt zu der sich täglich verschärfenden Bankenkrise in Italien: Pläne einer Bad Bank, um die 200 Milliarden Euro an faulen Krediten kleinerer italienischer Institute abzufangen, lehnte Brüssel als nicht zulässige Staatshilfe ab. Rom weigerte sich daraufhin, in den geplanten EU-Flüchtlingsfonds für die Türkei einzuzahlen. Zudem pocht Italien auf mehr Flexibilität bei Ausgaben für 2016 oder stärkere Hilfen, um die Flüchtlingskrise zu meistern.

EU-skeptische Italiener

Doch es sind nicht so sehr diese mit Entschiedenheit vorgelegten Forderungen, die Renzi zum Enfant terrible der Union machen. Es ist sein neuer, aggressiver Ton: Italien lasse sich nicht „von Europa fernsteuern“, polterte er, „Italien will wieder respektiert werden“. Erst im Dezember hatte er in Berlin und Brüssel für Missstimmung gesorgt, als er gegen die „deutsche Dominanz“ in Europa wetterte.

Renzi hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass er sich ein „anderes Europa“ wünscht. Dass Renzi Brüssel gar zum Lieblingsfeind macht, hat aber vor allem innenpolitische Gründe: Im einst so europafreundlichen Italien befinden sich die EU-Fans in der Minderheit: Nur 30 Prozent der Befragten sagten in einer Umfrage im Dezember, sie hätten Vertrauen in die Union. 2000 waren es 57 Prozent. Die regierenden Linksdemokraten stehen mit ihrer proeuropäischen Haltung zunehmend allein da. Die wichtigsten Oppositionsparteien – die Lega, Silvio Berlusconis Forza Italia oder Beppe Grillos Fünf-Sterne-Bewegung – wollen einen Euro- und zeitweise gar einen EU-Austritt. Diese Anti-Europa-Front repräsentiert 45 Prozent der Wähler.

Zu EU-Skeptikern wurden die Italiener wegen der Finanz- und Flüchtlingskrise: Viele Parteien machten Brüssel (und Berlin) für die schmerzhaften Einsparungen und die Misere verantwortlich, das Chaos in der Flüchtlingspolitik wird mangelnder Hilfe aus Brüssel in die Schuhe geschoben. Im Frühling finden Regionalwahlen statt. Renzi hofft, mit Anti-EU-Nationalismus Stimmen der Opposition zu erhaschen. Denn er braucht einen Popularitätsschub: Ihm setzen parteiinterne Streitereien zu, vom schwachen Wachstum spüren viele Italiener nichts. Und nun droht die Bankenkrise, die bereits viele Kleinsparer und Pensionisten getroffen hat, Italiens langsame Erholung zunichte zu machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.01.2016)

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