Die EU-Partner sind bereit, die meisten britischen Forderungen für eine Reform der Gemeinschaft zu akzeptieren. London müsste bei der Freizügigkeit etwas einlenken.
London/Berlin. Die optimistischen Signale werden lauter: Zwischen den EU-Partnern und der britischen Regierung steht eine Einigung über Reformen der Gemeinschaft unmittelbar bevor. Anfang der Woche telefonierte der britische Premierminister, David Cameron, erneut mit der deutschen Bundeskanzlerin, Angela Merkel, beide verbreiteten danach die Hoffnung auf eine rasche Einigung.
Seit Großbritanniens Außenminister, Philip Hammond, in einer der Kernforderungen, dem verzögerten Zugang von eingewanderten EU-Bürgern zu britischen Sozialleistungen, Kompromissbereitschaft signalisiert hat, wird mit einer Einigung beim EU-Gipfel am 18. und 19. Februar gerechnet. Cameron könnte sich mit den meisten Forderungen durchsetzen. So gibt es etwa die Bereitschaft, die Verpflichtung jedes Landes zu streichen, sich an einer Union mit immer engerer Zusammenarbeit zu beteiligen. Auch ein ausgeweitetes Subsidiaritätsprinzip findet bei den meisten EU-Partnern Zuspruch. Sympathien gibt es auch dafür, die nationalen Parlamente zu stärken. Eine noch zu bestimmende Anzahl von ihnen soll gemeinsame EU-Entscheidungen verhindern können. Bei Camerons Wunsch nach einer Festlegung, dass der Euro nicht mehr die offizielle Währung der Europäischen Union ist, sträubt sich noch die Europäische Zentralbank. London will damit nämlich auch Ausnahmen bei allen Maßnahmen zur künftigen Absicherung des Euro, wie etwa der Bankenunion, erhalten. Politisch könnte aber auch hier eine Lösung gefunden werden.
Kompromiss ist möglich
Merkel erklärte nach dem Gespräch mit Cameron, es seien noch ein paar weitere Anstrengungen für eine Einigung notwendig. Kern dieser Anstrengungen könnte erneut das Thema Freizügigkeit werden. London wollte Einwanderern aus der EU mindestens vier Jahre lang keine Sozialleistungen zugestehen. Dies würde Arbeitnehmer, die aus einem anderen Mitgliedsland stammen, auf dem britischen Arbeitsmarkt diskriminieren. Eine solche Regel widerspricht dem Gleichbehandlungsgrundsatz auf dem EU-Binnenmarkt. Protest dagegen kam vor allem von osteuropäischen Regierungen. Da Außenminister Hammond nun von Alternativen spricht, könnte Großbritannien ähnlich wie Österreich beispielsweise den Zugang zum Arbeitslosengeld an mehrere Beitragsjahre knüpfen. Dies könnte sowohl für In- als auch für Ausländer gelten und wäre im Sinn des EU-Rechts nicht diskriminierend. Auch könnte es so wie andere Mitgliedstaaten Bedingungen für Einreisende festschreiben, damit die Gefahr eines Sozialtourismus bereits bei der Übersiedlung ausgeschlossen werden kann. Nach EU-Recht ist es beispielsweise legitim, dass Übersiedler zumindest über ein Einkommen oder über Rücklagen verfügen müssen, die über jenen der Mindestsicherung liegen.
Gelingt die Einigung, dürfte Cameron noch in diesem Jahr das von ihm versprochene Referendum über einen Verbleib in der EU abhalten. Er selbst würde bei einem guten Verhandlungsergebnis für ein Ja zur EU werben. (ag., wb)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.01.2016)