Großbritannien/EU: Cameron wirbt in Warschau für Sozialnotbremse

David Cameron.
David Cameron.(c) REUTERS (KACPER PEMPEL)
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YouGov-Umfrage sieht die Gegner der britischen EU-Mitgliedschaft in Führung: 45 Prozent der Briten wollen demnach für den Austritt aus der Union stimmen, nur 36 Prozent sind gegen den Brexit.

Brüssel/Warschau. Noch knapp zwei Wochen bleiben David Cameron, um seine europäischen Partner davon zu überzeugen, die EU-Mitgliedschaft Großbritanniens mit einigen Zugeständnissen zu versüßen – die Staats- und Regierungschefs der EU werden beim Gipfeltreffen in Brüssel am 18./19. Februar über die Causa beraten. Am gestrigen Freitag reiste der britische Premierminister nach Warschau. Eine naheliegende Destination angesichts der Tatsache, dass gut eine Million Polen in Großbritannien leben und arbeiten und Camerons oberstes Ziel die Kürzung von Sozialleistungen für EU-Ausländer ist.

Was die Visite in Polen allerdings nicht unbedingt einfach machte. Die polnische Regierungschefin, Beata Szydło, ließ die britische Tageszeitung „Times“ wissen, dass Camerons Anliegen sie „nicht glücklich“ mache. Nach dem Treffen mit ihrem britischen Kollegen betonte Szydło, Großbritannien sei „ein Fundament der EU“ und ein wichtiger Partner Polens. Sie wünsche sich allerdings, „dass Polen in Großbritannien dieselben Chancen haben wie Briten“.

Im Hotel mit Kaczyński

Da Zugeständnisse an Großbritannien im Rat einstimmig beschlossen werden müssen, kann London die Befindlichkeiten der Osteuropäer nicht ignorieren. Allerdings deutet einiges darauf hin, dass Polen beim kommenden Gipfel kein Veto einlegen wird. Neben der Unterredung mit Szydło fand Cameron nämlich auch Zeit für ein Treffen mit dem wohl wichtigsten einfachen Abgeordneten im Warschauer Sejm: Jarosław Kaczyński, der grauen Eminenz der nationalkonservativen Regierungspartei PiS. Nach dem Treffen mit Cameron in einem Warschauer Hotel betonte Kaczyński erstens, dass die Kürzungen nicht bereits in Großbritannien ansässige Polen betreffen sollen und zweitens, dass eine allfällige Entscheidung über die Aktivierung der britischen Sozialnotbremse in Brüssel „mit polnischer Beteiligung“ getroffen werde. Die für Kaczyńskis Verhältnisse sanfte Tonlage überrascht nicht: PiS und Camerons Tories sind die größten Mitglieder der Parteifamilie der Europäischen Konservativen und Reformer (ECR), zudem weiß Warschau Großbritannien als Nato-Partner und als Gegengewicht zu Deutschland und Frankreich zu schätzen. Hinzu kommt, dass die polnischen Nationalkonservativen über den Massenexodus junger Polen nach Westeuropa nicht unbedingt glücklich sind – Polen hat eine der niedrigsten Geburtenraten innerhalb der EU. Welche Haltung Warschau am 18. Februar einnehmen wird, ist allerdings noch offen. Drei Tage vor dem Gipfel will sich Warschau mit Ungarn, Tschechien und der Slowakei (sie bilden die sogenannte Visegrád-Gruppe) absprechen und mit einer gemeinsamen Position in die Verhandlungsschlacht nach Brüssel aufbrechen.

Apropos Schlacht: Um die britischen Wähler davon zu überzeugen, für den Verbleib ihres Landes in der EU zu votieren, wird sich Cameron ins Zeug legen müssen. Eine am Freitag veröffentlichte Umfrage des Instituts YouGov gibt nämlich den Gegnern der EU-Mitgliedschaft einen neunprozentigen Vorsprung: 45 Prozent der Befragten wollten demnach für den Austritt aus der Union stimmen, nur 36 Prozent lehnten den Brexit ab. Allerdings gelten Umfrageergebnisse momentan als nicht sehr aussagekräftig, so sind die britischen Demoskopen etwa bei der Parlamentswahl 2015 eklatant daneben gelegen.

Gibt es beim Gipfel eine Einigung mit London, dürften die Briten voraussichtlich Ende Juni über den Brexit abstimmen. (ag./la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2016)

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