Erdgas: Auch Europa plant lieber ohne die Ukraine

File photo of fisherman standing in a boat as a liquid natural gas tanker passes the coast near Havana
File photo of fisherman standing in a boat as a liquid natural gas tanker passes the coast near Havana(c) REUTERS (DESMOND BOYLAN)
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Mit Flüssiggas und mehr Gaspipelines innerhalb der EU will Brüssel die Abhängigkeit vom Hauptlieferanten Russland eindämmen. Geht die Strategie auf, trifft das auch das einst so wichtige Transitland Ukraine stark.

Wien. 64,2 Milliarden Kubikmeter russisches Erdgas flossen im vergangenen Jahr durch die Ukraine in Richtung EU. Das war immer noch die Hälfte der gesamten Importe aus Russland, aber deutlich weniger als vor einigen Jahren. Moskau liegt seit Jahren mit Kiew über nicht bezahlte Gasrechnungen im Clinch und setzt alles daran, den ehemaligen Hauptabnehmer auf dem Weg nach Europa zu umgehen.

Wie am Dienstag bekannt wurde, will nicht nur Russland, sondern auch die EU selbst in Hinkunft nicht mehr auf Lieferungen durch die Ukraine bauen. Offiziell dienen die 14 Projekte, die von der EU-Kommission nun forciert umgesetzt werden sollen, einem anderen Ziel: Die Abhängigkeit der Union vom Hauptlieferanten Moskau soll verringert werden. Die EU bezieht derzeit ein Drittel ihres Erdgases von Russland. Einige osteuropäische Länder sind jedoch fast ganz von Moskau abhängig.

Osteuropa braucht Moskau

In den baltischen Ländern und in Kroatien sollen daher möglichst rasch neue Häfen für verflüssigtes Gas (LNG) errichtet werden. Die Pipelines zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten sollen ausgebaut werden, um so in Krisenfällen eine Lieferung innerhalb der EU zu gewährleisten. Dafür müssten meist nur noch grenzüberschreitende Verbindungen zwischen bereits bestehenden Infrastrukturen geschaffen werden, sagte der für Energie zuständige EU-Kommissar, Miguel Arias Cañete, in Brüssel.

Estland, Lettland und Litauen sowie Finnland sollen an das europäische Gaspipeline-Netzwerk angebunden werden. Von Krk soll eine Pipeline in Richtung Ungarn gehen. Bulgarien und Rumänien sollen über ein neues Pipelinenetz Gas aus Griechenland erhalten. Ein Kollateralschaden dieser Unabhängigkeitsbestrebungen ist die Ukraine. Bisher hat das hoch verschuldete Land im Gasgeschäft jährlich rund zwei Milliarden Euro an Transitgebühren verdient. Fallen diese weg, könnte das den Staat zusätzlich destabilisieren.

Der Vorstoß der EU kommt in einem politisch heiklen Moment. Denn während Brüssel nach größerer Unabhängigkeit von Russland strebt, arbeitet Moskau daran, immer mehr Gas direkt nach (West-)Europa zu bringen. Bis 2020 will der russische Energiekonzern Gazprom die Kapazität seiner Nord-Stream-Pipeline verdoppeln – die Ukraine würde als Transitland damit de facto bedeutungslos werden. Der Ausbau der direkten Gasverbindung zwischen Russland und Deutschland ist innerhalb der EU sehr umstritten. Vor allem die osteuropäischen Länder laufen gegen die Pläne der Russen Sturm. Sie fürchten, bei künftigen Gaslieferungen aus Russland außen vorgelassen zu werden.

Teuer, aber strategisch sinnvoll

Und das schmerzt, denn bis die Unabhängigkeitsvisionen der EU Realität werden, wird viel Zeit und Geld notwendig sein. Derzeit sind LNG-Terminals kaum rentabel. Die hohen Erwartungen in das teure LNG erfüllten sich bisher nicht. Europa schwimmt in günstigerem Pipelinegas, Ölkonzerne schreiben Millionen auf ihre LNG-Terminals ab. Dass der Bau für manche Länder strategisch dennoch sinnvoll sein kann, zeigt das Beispiel Litauen: Vor einem Jahr hat das Land seinen LNG-Terminal eingeweiht und kann seither erstmals auch Gas aus Norwegen kaufen. Gazprom reagierte prompt und senkte den Preis um ein Fünftel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2016)

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