Beim EU-Gipfel soll Großbritannien Zugeständnisse für den Verbleib in der EU erhalten. Doch die rechtliche Umsetzung des Abkommens ist eine heikle Übung.
Brüssel. Die Verhandlungen über die Zukunft Großbritanniens in der EU kommen in eine entscheidende Phase. Schon beim EU-Gipfel am Donnerstagabend sollen die Konditionen beschlossen werden, die es dem britischen Premier, David Cameron, erlauben würden, für den Verbleib seines Landes in der EU zu werben. Wohl bereits im Juni werden die Briten darüber in einem Referendum abstimmen.
Die Chancen auf den Deal beim EU-Gipfel sind laut Diplomaten zwar intakt. Doch klar wurde bei Camerons Besuch im EU-Parlament am Dienstag auch, dass die geplante Limitierung von Sozialleistungen für nicht britische EU-Bürger damit noch nicht gewährleistet wäre. Gerade für die Erfüllung dieser zentralen Forderung ist die Änderung zweier EU-Gesetze notwendig, die von den Mitgliedstaaten und dem EU-Parlament beschlossen werden müssen. Und die EU-Juristen stehen vor einer Gratwanderung: Sie dürften nicht offensichtlich eine Lex Britannica schaffen und müssen gleichzeitig verhindern, dass das britische Beispiel unter den anderen EU-Staaten Schule macht, sagte ein Diplomat. Zuletzt hat der österreichische Außenminister, Sebastian Kurz, bereits Interesse bekundet, jene rund 230 Millionen Euro zusammenzustreichen, die Österreich offenbar pro Jahr an Kinderbeihilfe ins Ausland überweist.
Keine Garantie für Cameron
Den Ausgang des parlamentarischen Prozesses könne er nicht garantieren, sagte EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Dabei handle es sich nicht um ein Veto, das das Parlament in den Verhandlungen mit Großbritannien habe, sondern um den ganz normalen Gesetzgebungsprozess. Britische Medien hatten zuvor vom drohenden Veto des EU-Parlaments geschrieben und Cameron einmal mehr in die Defensive getrieben. Die Klarstellung des Offensichtlichen durch Schulz macht es ihm wohl nicht einfacher, den Deal zu Hause zu verkaufen. Denn der Premier hat immer von einem rechtlich verbindlichen und unwiderruflichen Abkommen über die neuen Beziehungen Großbritanniens mit der EU gesprochen.
Tatsächlich sei die Chance auf eine Ablehnung der Gesetzesänderungen „nicht null“, sagt Raoul Ruparel, Direktor des Londoner Thinktanks Open Europe. Zwar habe die britische Regierung viel Zeit aufgewandt, um bei EU-Abgeordneten zu lobbyieren. Doch die Signale seien gemischt: Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), habe sich recht optimistisch gezeigt, die nötigen Gesetzesänderungen in rund drei Monaten durchziehen zu können. Gianni Pitella hingegen, Präsident der Sozialdemokraten, bezeichnete es als „inakzeptabel“, wenn Camerons Pläne die Rechte ausländischer Arbeiter in Großbritannien mindern würden. Und auch aus Parlamentspräsident Schulz werde er nicht ganz schlau, meint Ruparel, dessen Thinktank in Großbritannien als EU-freundlich gilt, auf dem europäischen Festland dagegen eher als EU-skeptisch einschätzt wird.
Nach dem Treffen mit Cameron stellte Schulz immerhin klar, dass er alles daran setzen wolle, Großbritannien in der EU zu halten. In Parlamentskreisen hieß es, die Mehrheit der Abgeordneten werde keinen Kurs unterstützen, der zum Zerbrechen der EU führe. Voraussetzung für eine Lösung sei aber ein wasserdichter Rechtstext.
Diesen wollen die EU-Juristen so formulieren, dass er de facto nur auf das britische Sozialsystem anwendbar ist. Er soll es der Regierung in London wie berichtet erlauben, Sozialleistungen für EU-Bürger über vier Jahre zu begrenzen und die Beihilfe für Kinder von Arbeitnehmern zu stutzen, die nicht in Großbritannien leben.
„Deal in Reichweite“
Weber sagte nach einem Treffen mit Cameron, dass ein Deal in Reichweite sei. Er stellte klar, dass die EVP nicht daran interessiert sei, Forderungen anderer Länder zu diskutieren. Das richtete er wohl auch an die Adresse des österreichischen Außenministers.
Ein weiterer offener Punkt ist die Klärung des Verhältnisses zwischen Euro- und Nichteuroländern. Hier stellte Frankreich bei einem Besuch des britischen Premiers zu Wochenbeginn klar, dass es keinen wie immer gearteten Einfluss Londons auf Entscheidungen der Eurozone geben dürfe.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2016)