Flüchtlinge: Merkel verspricht Tsipras offene Grenzen bis März

Alexis Tsipras und Angela Merkel.
Alexis Tsipras und Angela Merkel.(c) APA/AFP/STEPHANE DE SAKUTIN
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Am 6. März findet ein EU/Türkei-Gipfel statt. Athen hat die Flüchtlingsfrage an die Brexit-Zustimmung geknüpft.

Wien/Brüssel. Das hat den Verhandlern gerade noch gefehlt. Griechenlands Premier, Alexis Tsipras, sorgte während der Marathongespräche über einen Briten-Deal in Brüssel am Freitagnachmittag unter Amtskollegen für gehöriges Kopfschütteln: Athen hatte seine Zusage mit der Flüchtlingsfrage verknüpft – und ein Veto angedroht, sollte die EU nicht weiterhin für offene Grenzen sorgen.

Deutschlands Kanzlerin, Angela Merkel, sprang Tsipras schließlich zur Seite: Laut der griechischen Zeitung „Kathimerini“ sicherte sie dem Griechen in einem Dreiergespräch mit dem französischen Präsidenten, François Hollande, offene Grenzen bis zum 6. März zu – dann findet ein Sondergipfel der EU mit der Türkei statt. Unklar war zunächst, ob Tsipras diese Zusicherung reicht – und vor allem, ob andere Staaten sich dem Versprechen Merkels anschließen würden. Die Visegrád-Länder wollen ja bekanntlich eine Abriegelung der Balkanroute an der griechisch-mazedonischen Grenze erreichen – ein Schritt, der Griechenland de facto aus dem Schengen-Raum katapultieren würde. Auch in Österreich sorgt diese Option für Zustimmung.

Offiziell aber hält die EU (noch) an gemeinsamen Maßnahmen mit Ankara fest. Nach einer stundenlangen Debatte zur Flüchtlingskrise am Donnerstagabend wurde der Beschluss gefasst, den Sondergipfel für Anfang März einzuberufen. Das geplante Treffen im Vorfeld des gerade zu Ende gegangenen EU-Rates musste abgesagt werden: Nach einem Anschlag in Ankara konnte Premier Ahmet Davutoğlu nicht nach Brüssel reisen. „Wir haben bestätigt, dass es keine Alternative zu einer guten, intelligenten Zusammenarbeit mit der Türkei gibt“, bekräftigte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker während einer frühmorgendlichen Pressekonferenz am Freitag. Auch die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, drängt auf die Umsetzung des im November beschlossenen Aktionsplans mit Ankara.

Bis es aber so weit ist, setzen viele Staaten auf nationale Alleingänge. Österreichs Bundesregierung etwa lässt sich durch die Mahnung der EU-Kommission, die Obergrenze von 80 Asylanträgen pro Tag sei EU-rechtswidrig, nicht beirren. Seit Freitag, acht Uhr, ist dieses Limit für Flüchtlinge an Österreichs Südgrenze in Kraft. Bundeskanzler Werner Faymann und Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) verteidigten diese Entscheidung gegenüber der EU nicht. Die Innenressortchefin ging sogar noch weiter. Sie bereitet eine Reduktion der Obergrenze auf weniger als 80 Asylanträge, die angenommen werden, vor.

Ihre Begründung: Die tägliche Obergrenze von 80 Anträgen werde auf Dauer nicht ausreichen: „In weiterer Folge werden wir die täglichen Obergrenzen weiter senken müssen“, teilte Mikl-Leitner via Austria Presseagentur mit. Das soll strukturiert und vor allem in Abstimmung mit Österreichs Nachbarstaaten durchgeführt werden. Sie hat dabei die Flüchtlingsroute von der Türkei über Griechenland und den Balkan im Auge, wo sie in einer Art Dominoeffekt jetzt ebenfalls Einschränkungen für Flüchtlinge erwartet.

„Nicht gegeneinander arbeiten“

In der ersten Phase, so die Innenministerin, gehe es jetzt daher darum, die Balkanländer mit einem Rückstau an Asylwerbern an den Grenzen nicht zu überfordern: „Wir dürfen nicht gegeneinanderarbeiten, sondern legen gemeinsam die Bremse ein.“ Es sei wichtig, dass jedes Land entlang der Balkanroute künftig an seiner Grenze restriktiver vorgehe. Allerdings kam die neue Obergrenze mit 80 Asylanträgen bei der eigens eingerichteten Grenzsicherung für Flüchtlinge in Spielfeld an der steirisch-slowenischen Grenze am Freitag vorerst gar nicht zur Anwendung.

Am Brenner (siehe Bericht unten) wird das neue Grenzmanagement hingegen erst aufgebaut. Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) bestätigte aber Pläne für einen Assistenzeinsatz des Bundesheeres bei den Grenzkontrollen am Brenner. Es gebe „konkrete Vorstellungen und Planungen“, die mit der Tiroler Landespolizeidirektion erarbeitet würden, sagte er bei einer Pressekonferenz mit Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) in Innsbruck.

Ausgerechnet am ersten Tag, an dem das Limit galt, sind am Grenzübergang in Spielfeld bis Freitagmittag keine Flüchtlinge angekommen, berichtete der steirische Polizeisprecher Fritz Grundnig. Allerdings dürfte weniger die Obergrenze als die schärfere Restriktion der südosteuropäischen Staaten an der Balkanroute Grund für den zunächst ausbleibenden Flüchtlingsstrom sein.

In Griechenland hingegen stiegen die Zahlen der Flüchtlinge in den vergangenen Tagen wieder an: Die Küstenwache hat seit Mitte der Woche 1753 Menschen aus den Fluten der Ägäis gerettet. Wagten am Montag 181 Menschen die Überfahrt, waren es am Mittwoch 4611 Personen. (red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2016)

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