"Das soll die Überfahrt übers Meer stoppen"

Selim Yenel (Archivbild aus 2009).
Selim Yenel (Archivbild aus 2009).(c) Michaela Bruckberger
  • Drucken

Der türkische Botschafter bei der EU, Selim Yenel, wirbt für das Flüchtlingsabkommen mit der EU, kritisiert Österreich und definierte Migranten, die aus seinem Land Richtung Griechenland weiterziehen, als Wirtschaftsflüchtlinge.

Die Presse: Die EU und die Türkei versuchen, über ein gemeinsames Abkommen die Flüchtlingskrise zu lösen. Bisher kam das Abkommen nicht zustande, wo liegt das Problem?

Selim Yenel: Wir haben uns im November auf einen Aktionsplan geeinigt. Mittlerweile hat die Türkei zahlreiche Maßnahmen ergriffen. Wir haben neue Visabestimmungen für Syrer eingeführt, haben den Arbeitsmarkt für Syrer geöffnet. Wir haben mehrere Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet. Wir haben die Einbeziehung der Nato zur Kontrolle des Meers zwischen der Türkei und Griechenland akzeptiert. All das hat die Zahl der Flüchtlinge reduziert. Aber es ist nicht genug. Die EU-Partner hatten nicht die Geduld, sie forderten eine raschere Reduzierung der Zahl. Zuletzt haben wir deshalb tiefgreifendere Maßnahmen vorgeschlagen. Wir haben mittlerweile akzeptiert, alle zurückzunehmen, die versucht haben, in die EU einzuwandern. Für jeden zurückgenommenen Zuwanderer muss die EU im Gegenzug einen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufnehmen.

Kann das in der Praxis funktionieren?

Natürlich. Wenn wir 10.000 Syrer zurücknehmen, dürfen dann 10.000 Syrer legal in die EU einwandern. Das ist der Deal.

Was verlangt die Türkei dafür?

Für diese Belastung wollen wir ein Entgegenkommen. Erstens eine Beschleunigung der Visaliberalisierung für türkische Staatsbürger, die in die EU einreisen wollen. Uns ist klar, dass wir dafür die notwendigen Kriterien erfüllen müssen. Zweitens haben wir drei weitere Milliarden Euro an Hilfe bis 2018 für die Versorgung der syrischen Flüchtlinge verlangt. Drittens wollen wir eine Normalisierung unserer Beziehungen und die Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen.

Sollten diese Maßnahmen tatsächlich die Flüchtlingswelle Richtung EU eindämmen – was erwartet Ankara danach: Die Übernahme weiterer Flüchtlinge direkt aus der Türkei?

Wir werden türkische Beamte auf die griechischen Inseln schicken. Sie werden mit Frontex (EU-Grenzschutzagentur, Anm.) organisieren, dass diese Menschen zurück in die Türkei geschickt werden. Das soll die Überfahrt über das Meer dann stoppen. Sobald das erreicht ist, erwarten wir eine Fortsetzung der Umsiedlung von Flüchtlingen in die EU. Allerdings auf freiwilliger Basis. Deutschland, Schweden und weitere Länder würden dann Menschen die Möglichkeit der Einreise geben.

Vor wenigen Wochen haben Sie die Übernahme von Kontingenten durch die EU noch abgelehnt.

Ja, zu diesem Zeitpunkt waren wir dagegen. Als wir gesehen haben, dass unsere Maßnahmen nicht ausreichen, haben wir neue Vorschläge gemacht.

Was wird die Türkei tun, wenn es bei der Visaliberalisierung oder bei den Beitrittsverhandlungen zu einer Blockade von einzelnen Mitgliedstaaten kommt?

Wenn die EU von sich aus neue politische Blockaden beginnt, werden wir das Rückführungsabkommen aufheben.

Sie würden im Notfall also politischen Druck auf die EU ausüben?

Ja. Das soll ja auch eine Win-win-Situation werden.

Kann die Türkei garantieren, dass sie dieses Abkommen auf der Basis völkerrechtlicher Verträge und verankerter Menschenrechte umsetzt?

Wir haben nun fast drei Millionen Flüchtlinge im Land. Sie sind bei uns in Sicherheit. Deshalb verstehe ich das Argument nicht. Ich darf Sie daran erinnern, dass alle diese Menschen, die aus unserem Land Richtung EU wandern, mittlerweile Wirtschaftsmigranten sind, weil es ihnen nur um eine Verbesserung ihrer Lebenssituation geht. Es ist deshalb auch eine falsche Debatte, ob sie in der Türkei sicher sind oder nicht. Sie sind dort bereits in Sicherheit.

Sie waren lange Botschafter in Österreich. Verstehen Sie die Maßnahmen der österreichischen Regierung zur Schließung der Grenzen und der Balkanroute?

Mir sind die Probleme jedes Landes bewusst. Aber das ist der falsche Weg, dieses Problem zu lösen. Wir haben Millionen von Flüchtlingen akzeptiert, deshalb verwundert uns, dass die EU mit einer viel geringeren Zahl nicht zurechtkommt. Für mich ist diese Entscheidung auch nicht nachvollziehbar, weil sie gegen die Werte spricht, für die die EU steht.

ZUR PERSON

Selim Yenel ist Botschafter der Türkei bei der Europäischen Union. Der erfahrene Diplomat begleitete zuletzt die Verhandlungen zwischen der türkischen Regierung und EU-Vertretern über ein Abkommen zur Lösung der Flüchtlingskrise. Zuvor war er bereits im türkischen Außenministerium für die EU-Politik seines Landes zuständig. Yenel war ab 2006 für mehrere Jahre Botschafter in Österreich, wo er sich für eine bessere Integration türkischer Staatsbürger einsetzte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.