Niederlande: Nach dem Votum der „Nexit“?

Dutch Voters Go To The Polls For EU-Ukraine Trade And Association Agreement Referendum
Dutch Voters Go To The Polls For EU-Ukraine Trade And Association Agreement Referendum(c) Bloomberg (Jasper Juinen)
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Nach dem deutlichen Nein zum EU/Ukraine-Vertrag erfahren EU-Kritiker wie Geert Wilders neuen Aufschwung. Die Regierung will das Abkommen nun nicht „einfach so ratifizieren“.

Den Haag. Das deutliche Nein der Niederländer zum EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine bleibt nicht ohne Konsequenzen: Die Haager Regierung will den Vertrag „nicht mehr einfach so ratifizieren“, wie der niederländische Ministerpräsident, Mark Rutte, gestern, Donnerstag, angekündigt hat.

In dem Referendum hatten sich am Mittwoch 61,1 Prozent der Wähler gegen das Abkommen ausgesprochen, 38,1 Prozent votierten dafür. Die Wahlbeteiligung lag bei 32,2 Prozent. Damit wurde das notwendige Quorum, wonach mindestens 30 Prozent der Wahlberechtigten auch abstimmen müssen, knapp erreicht. Das Referendum ist also gültig – es handelt sich aber um ein konsultatives Votum und ist daher politisch nicht bindend. Alle Spitzenpolitiker des Landes kündigten dennoch an, den Wählerwillen respektieren zu wollen.

Die übrigen 27 EU-Länder haben dem Vertrag mit der Ukraine bekanntlich längst zugestimmt. Rutte steht nun ein Canossagang nach Brüssel bevor. Dort muss er der EU-Kommission, aber auch den anderen 27 EU-Partnern erklären, wie es mit dem Abkommen nun weitergehen soll. Möglicherweise wird Rutte fordern, dass der EU/Ukraine-Vertrag nachverhandelt wird. Ob er sich damit durchsetzen kann, ist aber ausgesprochen fraglich. Einer Änderung müssten alle anderen Mitgliedstaaten zustimmen (siehe Seite 2).

Der ukrainische Präsident, Petro Poroschenko, jedenfalls sendete scharfe Worte aus Japan, wo er auf Staatsbesuch weilte. Das Referendum sei keine Abstimmung über die Assoziierung der Ukraine mit der EU, sondern eine „Attacke auf die Einheit Europas und die europäischen Werte“. Er betonte den konsultativen Charakter des Votums und kündigte an, dass die Ukraine ihren europäischen Weg fortsetzen würde.

In den Niederlanden wird der Ausgang der Volksabstimmung als klarer Sieg der EU-Kritiker bewertet. Der Rechtspopulist Geert Wilders, der übrigens nicht zu den Initiatoren des Referendums gehörte, jubelte in einer Twitter-Botschaft: „Das ist der Anfang vom Ende der EU. Das ist ein Schlag ins Gesicht der EU-Elite.“ Jubel dürfte auch im Kreml und beim russischen Präsidenten, Wladimir Putin, aufkommen. Denn Russland kritisierte das EU/Ukraine-Abkommen von Beginn an scharf.

Mit dem Vertrag sollte die politische, wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit zwischen den 28 EU-Ländern und Kiew vertieft werden. Das Abkommen ist aber nicht die Vorstufe zu einem EU-Betritt der Ukraine, wie von den Befürwortern des Vertrags immer wieder betont wird.

Kritiker sehen „Sieg der Demokratie“

Die Gegner des EU/Ukraine-Abkommens setzen mit dem Votum ein deutliches Zeichen. Sie sind gegen die EU-Elite im Allgemeinen und gegen eine weitere Expansion der EU in Richtung Osten im Besonderen. Die Initiatoren der Volksabstimmung, der Journalist Jan Roos und der Wissenschaftler Thierry Baudet, feiern das Referendum als einen „Sieg der Demokratie“. Kritiker aber meinen, dass die Volksabstimmung trotz des klaren Votums eine Glaubwürdigkeitslücke und ein Legitimitätsproblem habe. Schließlich haben nur 32,2 Prozent der insgesamt rund 12 Mio. Wahlberechtigten abgestimmt. 67,8 Prozent sind zu Hause geblieben.

Eines ist sicher: In den Niederlanden wird nun wieder eine heftige Debatte über den Sinn und Unsinn von Referenden ausbrechen. Denn die Gegner des EU/Ukraine-Vertrags kündigen bereits neue Abstimmungen an. So soll etwa eine Volksabstimmung über den Austritt der Niederlande aus der Eurozone angestrebt werden. Um dies organisieren zu können, müssen laut Gesetz innerhalb von sechs Wochen mindestens 300.000 Unterschriften gesammelt werden.

Sogar ein Austritt der Niederlande aus der EU, der sogenannte Nexit, könnte nun Gegenstand eines Referendums werden. Die Befürworter eines Austritts Großbritanniens aus der EU, des Brexit, jedenfalls fühlen sich durch das niederländische Votum gegen den EU/Ukraine-Vertrag gestärkt. Die Briten stimmen am 23. Juni darüber ab, ob sie in der EU bleiben wollen oder nicht – Umfragen deuten derzeit auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen hin.

Es ist bereits das zweite Mal innerhalb von zehn Jahren, dass sich die EU-Skeptiker in den Niederlanden in einer Volksabstimmung durchsetzen: Im Jahr 2005 votierte eine Mehrheit der Holländer gegen die EU-Verfassung, auch eine Mehrheit der Franzosen war dagegen. Damals lag die Wahlbeteiligung in den Niederlanden aber über 50 Prozent: Damit war die EU-Verfassung Makulatur. Später wurde statt der EU-Verfassung der Vertrag von Lissabon ausgehandelt. Er trat in Kraft, ohne dass es darüber eine neue Volksabstimmung gab.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.04.2016)

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