Griechenland: Die Schuldenkrise kehrt zurück

Greek PM Tsipras walks down the stairs of the Maximos Mansion next to an honorary guard as he arrives to welcome Portugal's PM Costa in Athens
Greek PM Tsipras walks down the stairs of the Maximos Mansion next to an honorary guard as he arrives to welcome Portugal's PM Costa in AthensREUTERS
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Dem EU-Mitglied droht wieder einmal das Geld auszugehen. Und die Geldgeber sind sich uneins darüber, in welchem Ausmaß das Land entschuldet werden soll.

Brüssel. Ein spontaner Freundesbesuch kann den Alltag bereichern – sofern der Gastgeber nicht überfordert ist und der Gast ohne eigennützige Hintergedanken an die Tür klopft. Bei der gestrigen Visite von Alexis Tsipras im Élysée-Palast kann man vom Ersteren ausgehen und Letzteres ausschließen. Dass der griechische Premierminister am Mittwoch kurzfristig nach Paris reiste, hat weniger mit einer tiefen Verbundenheit mit Staatspräsident François Hollande und mehr mit der Notlage zu tun, in der sich sein Land befindet. Und das nächste Reiseziel von Tsipras liefert sogleich eine Erklärung für seine Reisetätigkeit: Am heutigen Donnerstag wird er bei Martin Schulz, dem Präsidenten des Europaparlaments, in Straßburg erwartet. Tsipras ist also auf der Suche nach Verbündeten.

Dass der griechische Premier auf Rückendeckung aus ist, hängt damit zusammen, dass Europas Schuldenkrise wieder zum Leben erwacht ist: In den de facto seit sechs Jahren laufenden Verhandlungen zwischen Griechenland und seinen Gläubigern hakt es wieder einmal gewaltig. Am Dienstag reisten die drei Vertreter der Geldgeber Griechenlands – EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds, Europäische Zentralbank – mit leeren Händen aus Athen ab. Nach Auskunft des griechischen Finanzministers, Euklid Tsakalotos, sollen sie kommende Woche fortgesetzt werden. Dazwischen findet am Wochenende in Washington die Frühjahrskonferenz des IWF statt – die Causa Griechenland dürfte dort für Gesprächsstoff sorgen.

Es ist eine Causa, die längst ad acta hätte gelegt werden sollen. Nach einem Krisengipfel-Marathon im Frühjahr 2015, der im Beinahekollaps des griechischen Bankensektors kulminierte, einigte sich die EU im Juni auf ein drittes, 86 Mrd. Euro schweres Hilfspaket für ihr bis über beide Ohren verschuldetes Mitglied. Die erste, 13 Mrd. Euro schwere Tranche wurde sofort überwiesen, um den griechischen Finanzierungsbedarf bis Juli 2016 zu decken – dann werden nächste Kredittranchen im Umfang von 3,5 Mrd. fällig, die Griechenland ohne Hilfe nicht zurückzahlen kann. Im Gegenzug sagte Athen Strukturreformen und Sparmaßnahmen zu. Wie es Usus ist, sollte die Troika der Geldgeber im Quartalstakt Fortschrittsberichte erstatten.

Der erste dieser Berichte wäre im Oktober des Vorjahres fällig gewesen – und liegt immer noch nicht vor. Grund dafür sind Unstimmigkeiten zwischen Griechenland und seinen Partnern sowie zwischen den Geldgebern. Konkret geht es darum, wie Athen seine mittelfristige Budgetvorgabe erreichen kann bzw. soll – für das Jahr 2018 anvisiert ist ein Budgetüberschuss von dreieinhalb Prozent der Wirtschaftsleistung. Um das Ziel zu erreichen, sollen 5,4 Mrd. Euro eingespart werden, und zwar mittels Pensionskürzungen und Veränderungen im Steuersystem. Die griechische Regierung will entsprechende Gesetzesvorlagen kommende Woche dem Parlament zur Abstimmung vorlegen. Auch die Troika muss noch zustimmen.

Deutsches Dilemma

Während die EU-Kommission Griechenland weitgehend auf Kurs sieht, ist der Währungsfonds deutlich skeptischer. Die griechischen Schulden, die momentan rund 180 Prozent des BIPs ausmachen, seien „in hohem Maße untragbar“, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf eine interne Analyse des IWF. Der Fonds fordert, dass die europäischen Gläubiger Griechenland einen Großteil der Schulden erlassen, und droht damit, sonst nicht beim dritten Hilfsprogramm mitzumachen. Was wiederum Deutschland vor ein Dilemma stellt: Berlin schließt nämlich einen Schuldenschnitt für Griechenland dezidiert aus, beharrt aber zugleich auf der Teilnahme des Währungsfonds am Rettungseinsatz. Dass François Hollande ein offenes Ohr für Tsipras' Sorgen hat, gilt als sicher. Ob er selbst in Berlin ein offenes Ohr finden wird, ist indes offen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2016)

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