Wałęsa: „Ich kann das nicht mehr mit ansehen“

FILES-POLAND-POLITICS-HISTORY-COMMUNISM
FILES-POLAND-POLITICS-HISTORY-COMMUNISM(c) APA/AFP/PIOTR WITTMAN
  • Drucken

Die Blockade des Obersten Gerichtshofs durch die Regierung in Warschau hat nun das Europaparlament und Ex-Präsident Lech Wałęsa auf den Plan gerufen. Regierungschefin Szydło spricht von Einmischung.

Brüssel/Warschau. Mit der Freundschaft zwischen der neuen polnischen Regierung und dem Europaparlament ist es nun definitiv vorbei. Hatte Beata Szydło bei ihrem Auftritt im Straßburger Plenum im Jänner noch davon gesprochen, Europa sei für sie der Traum von Freiheit und Gleichberechtigung, an dem Polen mitwirken wolle, hat die polnische Premierministerin nun andere Saiten aufgezogen: Die EU solle sich besser auf „ernsthafte Krisen“ konzentrieren, anstatt sich in einen internen politischen Konflikt einzumischen, wetterte Szydło als Reaktion auf einen an Warschau adressierten Entschließungsantrag des Europaparlaments.

Die in Straßburg versammelten EU-Abgeordneten hatten sich mehrheitlich „ernsthaft besorgt“ über das Vorgehen der nationalkonservativen Regierung in Warschau gezeigt und die Umsetzung der Entscheidungen des Verfassungsgerichts gefordert, die von der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) seit dem Vorjahr beharrlich ignoriert werden.

Die Resolution war übrigens nicht der einzige Affront, den sich das Europaparlament aus Warschauer Sicht geleistet hat: Am Mittwoch lehnten nämlich die Abgeordneten den polnischen Kandidaten für einen Posten im Europäischen Verwaltungsgerichtshof ab: Janusz Wojciechowski wurde mit 358 zu 288 Stimmen von der Kandidatenliste gestrichen, die restlichen vier Kandidaten (aus Slowenien, Lettland, Tschechien und der Slowakei) wurden allesamt bestätigt. Wojciechowski, ein ehemaliger Richter, gilt im Konflikt mit dem Warschauer Verfassungstribunal als Hardliner. In einem Gespräch mit der „Presse“ hatte er der EU unter anderem vorgeworfen, einen Angriff auf Polen gestartet zu haben, um von der Flüchtlingskrise abzulenken.

In den Konflikt involviert ist mittlerweile auch Lech Wałęsa, legendärer Anführer der Gewerkschaft Solidarność, Friedensnobelpreisträger und erster frei gewählter Staatspräsident nach 1989. „Ich kann das nicht mehr mit ansehen“, sagte Wałęsa Donnerstagabend in einem Fernsehinterview. Die Vorgehensweise der PiS-Regierung sei beschämend und schade dem Land. Er rief zum offenen Widerstand auf. Lange hatte er sich mit direkten Angriffen zurückgehalten. In einem „Presse“-Gespräch im März hatte er aber bereits angekündigt, sich gegebenenfalls einzumischen. Für PiS ist Wałęsa ohnehin eine Feindfigur: Die Nationalkonservativen werfen ihrem einstigen Weggefährten vor, ein Informant der kommunistischen Staatssicherheit gewesen zu sein.

Worum geht es in dem Konflikt? Nach ihrem fulminanten Sieg bei der Parlamentswahl im Oktober 2015 hatte sich PiS – ausgestattet mit einer absoluten Mehrheit im Sejm, dem polnischen Unterhaus – daran gemacht, das Verfassungstribunal zu neutralisieren. Durch eine Änderung der Verfahrensregeln, die Bestellung zusätzlicher Höchstrichter und die Weigerung, Urteile des Tribunals im Amtsblatt zu veröffentlichen, wird das Gericht seit Ende 2015 an der Arbeit gehindert. Durch diese Entwicklungen alarmiert, hat die EU-Kommission zu Jahresbeginn ein Verfahren zur Prüfung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet – an dessen Ende theoretisch der Entzug der Stimmrechte im Rat stehen könnte.

Vernichtendes Urteil

Um die Kritik abzuschwächen, hatte Außenminister Witold Waszczykowski die Venedig-Kommission des Europarates nach Warschau eingeladen, um die Vorwürfe zu prüfen und – wie er hoffte – zu entkräften. Doch die Rechtsexperten stellten der Regierung in ihrem Gutachten ein vernichtendes Zeugnis aus.

Seither wird die Venedig-Kommission von der polnischen Regierung als irrelevant und nicht objektiv abgetan. Und vom eingeschlagenen Konfrontationskurs will man in Warschau keinen Millimeter abweichen. Am Donnerstag wurde nach einer kurzfristig anberaumten Änderung der Tagesordnung ein weiterer Höchstrichter von PiS ins Verfassungstribunal gewählt. (la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Lech Wałęsa will notfalls eine neue EU der Willigen.
Außenpolitik

Lech Wałęsa: "Ich kann noch Ordnung machen"

Polens Ex-Präsident spricht über seine Kontakte zum kommunistischen Geheimdienst, den Kampf gegen die nationalkonservative Regierung in Warschau und die Krise der EU.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.