Greenpeace hat den aktuellen Verhandlungstext geleakt. Dadurch werden die heiklen Streitpunkte öffentlich.
Berlin/Wien. Mit Aktionismus hat Greenpeace Erfahrung. Und so wundert es nicht, dass die Umweltschutzorganisation am Montagvormittag mit Bildmaterial und einer durchchoreografierten Inszenierung aufwartet, um die sogenannten #ttipleaks öffentlich zu präsentieren. Ein Whistleblower hatte der Umweltorganisation die aktuellen Verhandlungsdokumente des transatlantischen Handels- und Investitionsabkommens TTIP zugespielt. Positionen der USA, die bisher geheim waren, sind dadurch erstmals öffentlich zugänglich.
Vor dem Brandenburger Tor in Berlin steht ein Glascontainer, in dem die Abschrift der Dokumente nun für jedermann einsehbar ist. Auch im Internet können die Papiere abgerufen werden. „Wir brauchen eine öffentliche Debatte“, hieß es dann auf der Rednerbühne, auf der ein Sprecher von Greenpeace zwei andere Mitarbeiter der Organisation interviewte. Die Bürger müssten eine Chance haben, ihre Position einzubringen. Immerhin würden die nun veröffentlichten Dokumente zeigen, wie sehr die USA die EU unter Druck setzten. Etwa, indem die Amerikaner den Europäern Restriktionen beim Autoexport androhen, sollten sie nicht mit ihren Agrarprodukten leichter in den europäischen Markt eindringen können.
Greenpeace sieht die meisten Vorbehalte gegen TTIP bestätigt. So seien Passagen im Text enthalten, „die, wenn sie so im endgültigen Vertrag erhalten blieben, zur Zulassung von genmanipulierten Pflanzen und Lebensmitteln oder mit Wachstumsbeschleunigern erzeugtem Fleisch in der EU führen“. Auch wird in den rund 240 Seiten deutlich, dass die USA nicht nur auf privaten Schiedsgerichten für den Schutz von Investoren bestehen, sondern auch das Vorsorgeprinzip der EU im gesamten Gesundheits- und Konsumentenschutz infrage stellen.
Aus Verhandlerkreisen ist freilich längst bekannt, dass die unterschiedliche Rechtstradition die Gespräche belastet: In der EU werden Waren vor ihrem Verkauf geprüft und mit Regeln versehen. In den USA ist der Verkauf vorerst einmal ungeregelt. Erst nach einem Problem kommt es zu Gerichtsverfahren und zu Beschränkungen.
Wie der EU-Chefverhandler Garcia Bercero am Montag in Brüssel betonte, könne allerdings nicht davon die Rede sein, dass die EU ihr Vorsorgeprinzip über Bord werfe. „Greenpeace macht viel Lärm um etwas, für das es keinen Beleg gibt.“ In den Dokumenten findet sich allerdings beispielsweise ein Vorstoß, die in der EU bestehenden Beschränkungen bei gentechnisch veränderten Produkten aufzuweichen. Auch das, so versichert EU-Verhandler Bercero, sei „nur die Position der USA“. Für die EU-Kommission sei dieser Punkt nicht verhandelbar. Deshalb gebe es hier auch keinen Alternativtext.
Zur Erklärung: Die veröffentlichten Dokumente, deren Echtheit die Kommission nicht infrage stellt, sind ein in dieser Phase üblicher Verhandlungstext. Er besteht aus konsolidierten Textelementen wie auch aus den jeweiligen Vorschlägen der beiden Seiten (unterschiedlich durch Klammern gekennzeichnet).
„Vertrauen beschädigt“
Es geht aus einer Durchsicht der Dokumente allerdings hervor, dass die USA tatsächlich deutlich radikalere Vorstellungen von Freihandel haben als die EU-Verhandler. Das betrifft die Festlegung von Standards genauso wie Spezialthemen – etwa die Landwirtschaft.
Bercero wies darauf hin, dass der schwierigste Teil der Verhandlungen noch bevorstehe. Erst am Ende würden die heikelsten Punkte diskutiert. Einer seien die mit Regionen verbundenen Bezeichnungen von Lebensmitteln – etwa Champagner –, ein anderer das Hormonfleisch. Die USA sehen hier keinen Schutzbedarf. Die EU fordert hingegen die Anerkennung all ihrer bisherigen Regeln.
Die Veröffentlichung der Dokumente bezeichnete Bercero als „besorgniserregend“. Denn durch diese Aktion werde das gegenseitige Vertrauen in den Verhandlungen beschädigt. Woher die Papiere kommen, will Greenpeace nicht bekannt geben. Aus diesem Grund gebe es auch keine Kopien der Originaldokumente, weil aus denen durch orthografische Tricks oder andere Methoden ersichtlich sei, woher sie kommen. Daher habe man alle 240 Seiten abgeschrieben und dabei die Kennzeichnungen entfernt, so ein Sprecher der Umweltorganisation.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2016)