Brüssel empfiehlt Visafreiheit für Türkei unter Vorbehalt

Erdogan
ErdoganAPA/AFP/ADEM ALTAN
  • Drucken

EU-Vizekommissionschef Timmermans will zugleich weitere Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei öffnen: "Wir können uns nicht nur anbrüllen und uns abwenden."

Für türkische Bürger soll es künftig leichter sein, in die EU zu reisen. Die EU-Kommission hat sich am Mittwoch für die Aufhebung der Visa-Pflicht ausgesprochen. Es geht dabei um Kurzaufenthalte von bis zu 90 Tagen. Die Türkei muss für dieses Zugeständnis 72 Kriterien erfüllen, von denen fünf noch offen sind. Dafür hat Ankara bis Juni Zeit.

Der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, stellte allerdings klar, dass kein türkischer Staatsbürger in die EU ohne einen biometrischen Pass einreisen könne. Die Frist zur Umstellung alter Pässe auf biometrische läuft bis Jahresende. Der Vorschlag der EU-Kommission muss noch von EU-Parlament und Rat genehmigt werden.

Die Abschaffung der Visa-Pflicht war für den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan eine der wichtigsten Bedingungen für den Deal mit der EU, im Gegenzug syrische Flüchtlinge aufzunehmen.

Die fünf noch von Ankara bis Juni 2016 zu erfüllenden Bedingungen sind:

  • Die Annahme von Maßnahmen zu Verhinderung von Korruption in Zusammenarbeit mit den Empfehlungen der EU.
  • Die Angleichung der Gesetzgebung über den persönlichen Datenschutz an EU-Standards
  • Eine Vereinbarung über eine Zusammenarbeit mit Europol.
  • Das Angebot einer effektiven Justizkooperation in Kriminalfällen mit allen EU-Staaten und schließlich die Überarbeitung der Gesetzgebung und Praxis zu Terrorismus mit europäischen Standards.
  • Beim fünften Punkt geht es vor allem um die Definition von Terrorismus und die Einführung von Kriterien der Verhältnismäßigkeit.

Darüber hinaus gebe es zwei weitere Bedingungen, die aufgrund ihrer Umsetzung einer längeren Vorbereitungszeit bedürfen. Dazu zählten eben einerseits die biometrischen Daten, die einen zeitlichen Vorlauf benötigen, und zweitens die vollständige Umsetzung des EU-Türkei-Rückübernahmeabkommens.

"Können uns nicht nur anbrüllen und abwenden"

Timmermans sprach sich auch neuerlich für die Eröffnung der Kapitel 23 (Justiz und Grundrecht) und 24 (Gerechtigkeit, Freiheit und Sicherheit) in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aus. "In den vergangenen Jahren haben sich beide Seiten über den Zaun angeschrien, das hat bei Pressefreiheit, Rechtsstaatlichkeit und Redefreiheit in der Türkei überhaupt nichts gebracht", so Timmermans.

Bei diesen Themen sei man sich "nicht näher gekommen, sondern haben uns voneinander entfernt", konzedierte er. Deshalb, so Timmermans, "müssen wir sie zwingen, Rechenschaftspflicht zu übernehmen. Sie nur anzubrüllen und uns abzuwenden, wird nicht dazu führen, dass sich die Situation bessert".

Die EU-Kommission hat am Mittwoch auch die Visa-Freiheit für den Kosovo vorgeschlagen. Visafreie Reisen sollen demnach für Kosovaren mit biometrischen Reisepässen für Aufenthalte im Schengen-Raum bis 90 Tage möglich sein. In ihrem Visa-Fortschrittsbericht kommt die EU-Kommission zu dem Schluss, dass der Kosovo alle Voraussetzungen für die Aufhebung der Visumpflicht erfüllt habe. Bis zur Verabschiedung des EU-Vorschlags muss der Kosovo ein Grenzabkommen mit Montenegro ratifiziert haben und seine Leistungsbilanz im Kampf gegen Organisierte Kriminalität und Korruption verstärken. Über die Visa-Befreiung entscheiden nun die EU-Innenminister und das Europaparlament.

Scharfe Kritik an dem Vorschlag der Visa-Freiheit für die Türkei gab es sowohl von den Sozialdemokraten als auch den Konservativen. Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber sprach von einem falschen Signal der EU-Kommission. Er sehe nicht ein, warum "wir das Gesetz im Schweinsgalopp durch das EU-Parlament peitschen sollen, bevor die Türkei ihre Hausaufgaben erledigt hat. Mit mir nicht".

Die SPD-Europamandatarin Birgit Sippel zeigte sich ebenfalls kritisch. "Wie kann es sein, dass jetzt plötzlich eitel Sonnenschein verkündet wird, wenn vor zwei Monaten die 72 Kriterien von der Türkei zu großen Teilen noch nicht erfüllt wurden?", fragte sie. Ein "politischer Rabatt" der Kommission für die Türkei sei "inakzeptabel".

Der Vorsitzende der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, forderte den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf, seine Klage gegen den deutschen Kabarettisten Jan Böhmermann fallen und 1.800 inhaftierte Journalisten freizulassen. Solange Presse- und Medienfreiheit als fundamentale EU-Werte brutal niedergeknüppelt würden, sollte das EU-Parlament dem Vorschlag der Visa-Befreiung nicht zustimmen.

(APA)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Deutschland sei das letzte Land, das die Türkei verurteilen dürfe.
Außenpolitik

Armenien-Resolution: Erdogan will Bluttests für deutsche Abgeordnete

Der türkische Präsident will türkischstämmige Bundestagsabgeordnete einem Bluttest unterziehen. Die deutsche Regierung stellt sich hinter die Parlamentarier.
Außenpolitik

Grünen-Chef mit Tod bedroht

Türkische Hasswelle gegen Grün-Politiker Cem Özdemir wegen Verurteilung des Völkermords an den Armeniern. Die Polizei hat ihre Präsenz in der Umgebung von Özdemirs Berliner Wohnung erhöht.
Außenpolitik

Todesdrohungen gegen deutschen Politiker

"Rechtsradikalismus ist kein deutsches Privileg". Der türkischstämmige Grünen-Chef Cem Özdemir kam nach der Armenien-Resolution ins Visier türkischer Nationalisten.
Supporters wave Armenian and German flags in front of the Reichstag in Berlin
Außenpolitik

Armenier-Genozid: Das türkische Entrüstungsritual

Vor Deutschland haben schon viele andere Staaten den Armenier-Genozid anerkannt, darunter auch Österreich. Die türkische Regierung hat stets scharf reagiert.
Mitglieder der armenischen Gemeinschaft im deutschen Bundestag.
Außenpolitik

Völkermord-Resolution: Türkei ruft Botschafter aus Berlin zurück

Der Deutsche Bundestag hat die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als "Völkermord" eingestuft. Erdogan warnt mit "ernsten" Folgen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.