Karlspreis-Verleihung: Papst mahnt EU zu Humanismus

Pope Francis attends a ceremony during which he was awarded 2016 Charlemagne Prize at the Vatican
Pope Francis attends a ceremony during which he was awarded 2016 Charlemagne Prize at the Vatican(c) REUTERS (OSSERVATORE ROMANO)
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Für seinen Europa-Rüffel in Straßburg erhielt Papst Franziskus den renommierten Karlspreis der Stadt Aachen – und gab der Union ihre Hausaufgaben.

Rom. War jemals so viel europäische Prominenz im Vatikan? Und was haben sie alle dort zu suchen, bei einem 79-Jährigen, dem dieses Europa „müde und vergreist“ vorkommt, wie „eine Großmutter, die nicht mehr fruchtbar und lebhaft ist“? Im November 2014 war das. Da stand Papst Franziskus vor dem Europaparlament in Straßburg. Und seine Rüffel dort haben sich offenbar viele zu Herzen genommen. Die Stadt Aachen jedenfalls hat dem Papst, als einer „Stimme des Gewissens“, den diesjährigen Karlspreis zuerkannt, die bedeutendste politische Auszeichnung für Verdienste um die Einheit und den Zusammenhalt Europas.

Eine aufrüttelnde „Botschaft der Hoffnung“, so das honorige Preiskomitee, habe Franziskus gesandt. „In tiefer Sorge um den Zusammenhalt Europas“ sei man nach Rom gereist, sagt Aachens Oberbürgermeister Marcel Philipp. Nach ihm sprechen Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz und Ratschef Donald Tusk – selbst alle schon Träger des Karlspreises. „Ich schätze es, Heiliger Vater, dass Sie uns ins Gewissen reden; wir können nur besser werden“, versicherte Juncker. „Die Fliehkräfte der Krisen treiben uns auseinander“, beichtete Schulz. Zerknirscht hoffte Tusk, Papst Franziskus werde seinen Barmherzigkeitsappellen treu bleiben und nicht allzu brutal ins Gericht gehen mit ihnen allen.

Erst gegen 13 Uhr, dem geplanten Ende der Feierstunde, kam Franziskus zu Wort. Rüffeln werde der Papst diesmal nicht, nur „Straßburg fortführen“, hatte der Außenminister des Vatikans vorab schon angekündigt. „Nein“, begann Franziskus seine Rede, „Resignation und Müdigkeit gehören nicht zur Seele Europas“; Schwierigkeiten könnten auch „zu machtvollen Förderern der Einheit“ werden. Mit dieser aktuell etwas ungewöhnlichen Sicht der Dinge war der beruhigende Teil der Rede aber auch schon zu Ende. Es folgten die Hausaufgaben: Europa, „einst Wiege und Quelle des Humanismus“, verlangte Franziskus, müsse einen „neuen Humanismus“ entwickeln, aus dem Reichtum seiner Geschichte heraus.

Chance auf Arbeit wesentlich

Dazu gehört für den Papst auch die menschliche Vielfalt: „Die europäische Identität ist und war immer eine dynamische und multikulturelle.“ Die europäische Seele sei „aus der Begegnung von Zivilisationen und Völkern“ entstanden, setzte Franziskus nach, und er sieht – jenseits des „bloß geografischen Eingliederns“ – die „Herausforderung in einer starken kulturellen Integration“.

Wenn es ein Wort gibt, sagte Franziskus, „das wir bis zur Erschöpfung wiederholen müssen, dann lautet es Dialog“. Europas Friede „wird in dem Maß dauerhaft sein, wie wir unsere Kinder mit Werkzeugen des Dialogs ausrüsten und sie den guten Kampf der Begegnung und der Verhandlung lehren“.

Die jungen Leute müssten mit ihren Zukunftshoffnungen und -träumen die „vorherrschende Rolle spielen“, verlangte Franziskus. Aber das geht nur, sagte er, „wenn wir allen eine würdige, kreative, freie, solidarische, beteiligte und gut bezahlte Arbeit anbieten“. In der Chance auf Arbeit sieht der Papst überhaupt den Schlüssel zu einer „wahren“ gesellschaftlichen, zukunftsfähigen Integration – nicht nur von Ausländern, sondern von allen. Ein „neues Wirtschaftsmodell“ verlangte er, „das nicht einigen wenigen dient“, sondern dem Wohl aller: „Von einer verflüssigten Wirtschaft, die dazu neigt, Spekulation und Korruption als Mittel zur Erzielung von Gewinnen zu begünstigen, müssen wir zu einer sozialen Wirtschaft“ gelangen.

Einsatz für Menschenrechte

„Ich träume“ so Franziskus, rhetorisch wieder einmal Anleihen nehmend beim amerikanischen Bürgerrechtler Martin Luther King, von einem anderen Europa, „von einem jungen Europa, das noch fähig ist, Mutter zu sein“. Er träume davon, dass „Migrantsein kein Verbrechen ist, sondern die Einladung zu einem größeren Einsatz“. Und er schloss mit dem kompliziert gebauten Satz: „Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass der Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Zukunftsideen steht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.05.2016)

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