Kein europäischer Konsens über Unkrautvertilger Glyphosat

Glyphosat in einem Unkrautvernichtungsmittel
Glyphosat in einem Unkrautvernichtungsmittel(c) imago/Christian Ohde (imago stock&people)
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Vertreter der EU-Mitgliedstaaten verschieben erneut ihre Entscheidung über die Verlängerung der Zulassung für das umstrittene Breitband-Herbizid.

Brüssel. Ist es das bevorstehende Referendum über den EU-Austritt Großbritanniens, die nach wie vor ungelöste Griechenland-Krise, Angst vor der europäischen Wählerschaft oder schlicht und ergreifend Frühjahrsmüdigkeit? Jedenfalls werden dieser Tage in Brüssel auffällig viele Entscheidungen auf die lange Bank geschoben. Nachdem am Mittwoch die EU-Kommission ihren Beschluss über allfällige Strafen für die Defizitsünder Spanien und Portugal auf den Juli vertagt hat, waren am gestrigen Donnerstag die Vertreter der Mitgliedstaaten an der Reihe: Die EU-28 konnten sich nicht darauf einigen, ob die Zulassung für das Herbizid Glyphosat verlängert werden soll oder nicht – und beließen es bei einer Nichtentscheidung.

Dem Vernehmen nach haben sich unter anderem die Vertreter Frankreichs und Deutschlands ihrer Stimme enthalten, wodurch die Zögerer über eine Sperrminorität verfügt haben. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, die Befugnis zur Anwendung von Glyphosat um neun Jahre zu verlängern – ein umstrittener Vorschlag, denn die EU-Mitgliedstaaten hatten sich bereits im März nicht auf eine gemeinsame Position einigen können.

Zulassung läuft Ende Juni aus

Glyphosat ist eines der Zugpferde des US-Agrarkonzerns Monsanto – es ist im global vertriebenen Unkrautvertilgungsmittel Roundup enthalten. Das Herbizid ist seit Anfang der 1970er-Jahre im Einsatz und in der EU seit 2002 zugelassen – diese Zulassung läuft Ende Juni aus. Da Glyphosat ein Breitband-Herbizid ist und wahllos alle Pflanzen bekämpft (außer genetisch modifizierte Sorten, die aber in Europa nicht angebaut werden), wird es von Landwirten noch vor der Aussaat der Feldfrüchte verwendet, um Unkraut prophylaktisch zu vernichten.

Gibt es keine Verlängerung, könnten Glyphosat-haltige Produkte noch (je nach Entscheidung) bis zu maximal 18 Monaten verkauft werden. Spätestens Ende 2017 müssten sich die europäischen Landwirte nach einem Ersatz umsehen. Möglich wären mechanische Unkrautbekämpfung (also Pflügen und Jäten), andere Chemikalien – oder der Umstieg auf die von Umweltschützern, Grünen und Öko-Landwirten propagierten traditionellen Anbaumethoden mit Fruchtfolgen und Untersaaten.

Als Gift kann Glyphosat logischerweise auch für Mensch und Tier schädlich sein. So hat etwa die Internationale Krebsforschungsagentur IARC das Mittel als karzinogen eingestuft. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Produkte, die derzeit im Einsatz sind, bereits eine Gesundheitsgefährdung darstellen – und genau um diese Frage wird seit geraumer Zeit heftig gestritten. Zur Verwirrung beigetragen hatte dabei die Weltgesundheitsorganisation WHO, die Glyphosat 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ bewertet, ihre Bewertung aber zuletzt relativiert hat: Die im Normalfall auftretenden Rückstände des Herbizids im Essen sind demnach unbedenklich. Mittlerweile wird Glyphosat auch von der europäischen Chemikalienagentur ECHA unter die Lupe genommen – ihr Befund wird allerdings erst für das kommende Jahr erwartet.

Im Zulassungsverfahren spielt Deutschland eine Hauptrolle, denn es ist in der EU der für Glyphosat zuständige berichterstattende Mitgliedstaat. Die deutsche Enthaltung hat allerdings auch einen innenpolitischen Grund: einen Zwist innerhalb der Regierungskoalition. Die Sozialdemokraten, die im Umwelt- und Wirtschaftsministerium das Sagen haben, sprechen sich für das Ende von Glyphosat aus, Agrarminister Christian Schmidt von der CSU für die Verlängerung der Zulassung. In Österreich wird Glyphosat nur selten gespritzt – nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums kommt es auf weniger als drei Prozent der heimischen Ackerflächen zum Einsatz. Größter Abnehmer von Glyphosat sind demnach die Österreichischen Bundesbahnen.

AUF EINEN BLICK

Mehr zum Thema: Seite 19Glyphosat ist ein Breitband-Herbizid, das durch die Blätter in Pflanzen eindringt. Das Mittel steht im Verdacht, bei höherer Dosierung krebserregend zu sein. In der EU ist Glyphosat seit 2002 zugelassen, diese Zulassung läuft Ende Juni aus. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, die Nutzung des Herbizids für weitere neun Jahre zu verlängern, doch dafür fand sich im Gremium der EU-Mitglieder bis dato keine Mehrheit – skeptisch sind unter anderem Deutschland und Frankreich. In Österreich wird Glyphosat auf lediglich drei Prozent der Ackerflächen eingesetzt, Hauptabnehmer für den Unkrautvertilger sind die ÖBB.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2016)

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