TTIP: Kritik an Verhandlungstaktik der USA

Seit zwei Jahren warnt ein Graffiti nahe der EU-Kommission in Brüssel vor der Zusammenarbeit mit den USA.
Seit zwei Jahren warnt ein Graffiti nahe der EU-Kommission in Brüssel vor der Zusammenarbeit mit den USA. (c) REUTERS (FRANCOIS LENOIR)
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EU-Kommission wirft Washington vor, nur zu fordern, anstatt Kompromisse zu suchen. EU-Studie zeichnet nuanciertes Bild der Vorteile des transatlantischen Handelsabkommens.

Brüssel. In der EU-Kommission wird der Unmut über die Verhandlungstaktik der USA bei den seit drei Jahren andauernden Gesprächen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP immer lauter. Aus dem Kabinett des EU-Agrarkommissars Phil Hogan wurde am vergangenen Freitag ein Mail an die EU-Botschafter in den 28 Hauptstädten der Union versendet, in dem den USA (konkret dem US-amerikanischen EU-Botschafter Anthony Gardner) vorgeworfen wird, die Tatsachen zu verdrehen – publik gemacht wurde die Depesche vom Internetportal Politico. Demnach wolle Washington der EU Zugeständnisse im Agrarbereich abpressen, ohne selbst den Europäern entgegenzukommen.

Nach Ansicht der Brüsseler Behörde hat der hohe Überschuss der EU im Handel mit Lebensmitteln und Agrarprodukten wenig mit Handelshemmnissen diesseits des Atlantiks und viel mit der Qualität der europäischen Produkte zu tun. „Während die USA substituierbare Waren herstellen und ausführen, lassen sich die europäischen Erzeugnisse wegen der Präferenzen der Endverbraucher nicht leicht ersetzen“, heißt es im Anhang von Hogans Mail. Demnach sei der europäische Überschuss im Agrarhandel mit den USA größtenteils auf den Export von Wein, Champagner, Bier und Spirituosen wie Cognac und Whisky zurückzuführen. Hogans Fazit: Die USA wollen davon ablenken, dass sie derzeit (noch) nicht dazu bereit sind, der EU in wichtigen Teilbereichen wie der Ursprungskennzeichnung entgegenzukommen.

Dass TTIP sowohl für die USA als auch für die EU wirtschaftliche Vorteile mit sich bringt, gilt als gegeben. Der offiziellen Einschätzung der EU-Kommission zufolge soll TTIP die Wirtschaftsleistung der Union um einen halben Prozentpunkt heben. Hinter dieser allgemein gehaltenen Zahl verbergen sich allerdings unzählige Details, wie ein Blick in die umfangreiche Bewertung des Handelsabkommens belegt – das knapp 400 Seiten umfassende Konvolut wurde vor wenigen Tagen zur öffentlichen Konsultation in Europa freigegeben. Erstellt wurde die Studie vom niederländischen Thinktank Ecorys im Auftrag der EU-Kommission. Und beim genaueren Hinsehen wird deutlich, dass die positiven Aspekte von TTIP nuancierter ausfallen, als dies bis dato kommuniziert wurde.

West-Ost-Gefälle

Die von Ecorys entworfenen Szenarien decken sich mit den Grundannahmen der Brüsseler Behörde: Im günstigsten Fall soll das BIP um zusätzlich 0,5 Prozent steigen – ebenso wie die durchschnittlichen Einkommen, und zwar sowohl für höher als auch für niedriger qualifizierte Arbeitnehmer. Die Zunahme der europäischen Exporte in die USA wird mit 27 Prozent beziffert, US-Ausfuhren nach Europa sollen sogar um rund 35 Prozent zulegen. So weit, so positiv.

Diese Zugewinne werden sich aber nach Schätzungen der Ecorys-Experten nicht gleichmäßig auf die gesamte EU verteilen. Denn während die „alte“ EU (sprich Westeuropa) von TTIP besonders stark profitieren wird, ist der Wohlstandsgewinn in den mittel- und osteuropäischen Mitgliedstaaten minimal. Für Deutschland und die Niederlande prognostizieren die Studienautoren ein Plus bei der Wirtschaftsleistung von 0,6 Prozent, das irische BIP soll gar um 1,4 Prozentpunkte angeschoben werden. Die Zuwächse für Frankreich und Italien liegen mit 0,4 und 0,5 Prozent im Durchschnitt, Österreich darf sich laut Ecorys über einen zusätzlichen Wachstumsimpuls von 0,9 Prozent des BIPs freuen – der überdurchschnittlich hohe Zuwachs geht auf das Konto der heimischen Automobilindustrie, die von TTIP besonders stark profitieren soll.

Und Osteuropa? Für Tschechien und Ungarn lautet die Prognose plus 0,2 Prozent, für Polen lediglich 0,1 Prozent. Diese Diskrepanz könnte noch zu politischen Problemen führen, denn sie verdeutlicht, dass beispielsweise Warschau und Budapest durch eine Ablehnung von TTIP relativ wenig zu verlieren haben – bzw. ihre Zustimmung zum Abkommen in einem Konflikt mit der Kommission als Faustpfand nutzen könnten.

Auf einen Blick

TTIP. Nach europäischen Berechnungen soll das Abkommen die Wirtschaftsleistung der EU um rund einen halben Prozentpunkt steigern – davon dürften aber vor allem die „alten“, westeuropäischen Mitgliedstaaten profitieren, während die Wohlstandszuwächse in Polen oder Ungarn minimal ausfallen dürften. Österreich profitiert überdurchschnittlich stark von TTIP.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2016)

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