Zum 200-Jahr-Jubiläum der Oesterreichischen Nationalbank gastierte der EZB-Rat in Wien. EZB-Chef Mario Draghi hatte aber wenig Neues zu verkünden: Die Zinsen bleiben auf null. Nun ist die Politik am Zug.
Wien. Mario Draghi ist ein streng bewachter Mann. Wer den obersten Währungshüter der Eurozone live erleben möchte, muss durch ein penibles Registrierungsverfahren. Dokumente müssen zeitgerecht eingeschickt werden, und wer das versäumt, hat in der Regel Pech gehabt. Sogar die Sitzordnung auf der Pressekonferenz ist vorgegeben – und ihre Einhaltung wird genau überprüft. Einerseits sollen damit wohl Zwischenfälle wie im April des Vorjahrs verhindert werden: Da sprang eine Aktivistin während der Pressekonferenz auf den Tisch und bewarf den EZB-Chef mit Konfetti. Andererseits haben rigide Sicherheitsstandards in Zeiten des Terrors starke Symbolkraft.
Am gestrigen Donnerstag gastierte der EZB-Rat für seine monatliche Sitzung ausnahmsweise in Wien. Anlass waren die Feiern der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) zu ihrem 200-jährigen Bestehen. Die anschließende Pressekonferenz verlief ruhig – auch was die Geldpolitik betrifft: Die EZB werde ihre Zinssätze noch längere Zeit auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau halten, verlas Draghi die Entscheidung des EZB-Rates. Der Leitzins im Euroraum liegt derzeit auf dem Rekordtief von 0,0 Prozent. Auch der Strafzins, den Banken bezahlen müssen, wenn sie über Nacht Geld bei der Zentralbank parken, bleibt unverändert bei minus 0,4 Prozent.
Inflation bleibt vorerst niedrig
Im Vorfeld ist spekuliert worden, ob die EZB möglicherweise ihre Prognosen für Konjunktur und Inflation in der Eurozone anhebt. Das geschah nur teilweise. Die EZB-Ökonomen erwarten nun ein leicht höheres Wachstum als im März: Die Wirtschaftsleistung dürfte heuer um 1,6 Prozent zulegen (statt 1,4) und 2017 um 1,7 Prozent. „Die wirtschaftliche Erholung schreitet schrittweise voran“, so Draghi, der auf der Pressekonferenz von OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny flankiert wurde. Die Geldpolitik der EZB trage zur kontinuierlichen, wenn auch langsamen Erholung bei. Die Inflation dürfte heuer bei 0,2 Prozent bleiben und nächstes Jahr auf 1,3 Prozent steigen. Erst 2018 rückt sie laut Prognose mit 1,6 Prozent in die Nähe des EZB-Zieles von zwei Prozent.
Draghi appellierte auch an die Politik. Um die Früchte der Geldpolitik in vollem Umfang zu ernten, seien Reformen notwendig, um gegen das schwache Wachstum und die hohe Arbeitslosigkeit vorzugehen. Der Fokus müsse sein, die Produktivität zu steigern und das Umfeld für Unternehmen zu verbessern. Auf die Frage, welche Reformen in Österreich am drängendsten sind, blieb Draghi vage: Jedes Land wisse selbst am besten, welche Reformen es brauche.
EZB kauft Firmenanleihen
Außerdem weitet die EZB ihr Programm zum Ankauf von Anleihen von Staaten auf Unternehmen aus. Dass sie das tun würde, hatte die EZB bereits angekündigt. Neu ist der Termin: Beginnen werde man mit dem Erwerb von Firmenanleihen am 8. Juni. Je größer das Interesse an einer Anleihe, desto weniger Zinsen muss ein Unternehmen den Investoren dafür bezahlen. Die Notenbanker wollen damit bewirken, dass Unternehmen leichter zu Geld kommen. Die Wirtschaft soll so einen Schub erhalten. (bin)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.06.2016)