Ein letzter Rettungsversuch für TTIP

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Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker will die EU-Länder wieder auf eine Linie bringen. Unterstützung bekommt er von der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel.

Eine überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten will es, Großbritannien hat es unterschwellig zu einer der Bedingungen für einen Verbleib in der Union gemacht: Das Handels- und Investitionsabkommen mit den USA – kurz TTIP – soll in einem Kraftakt doch noch über die Bühne gebracht werden. Während in Frankreich, Deutschland und Österreich der Widerstand gegen das Abkommen wächst, wollen EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel, wieder alle EU-Hauptstädte auf Linie bringen.

„Wir müssen sicherstellen, dass wir alle in dieselbe Richtung rudern“, so Juncker. Er will den EU-Gipfel am 28. und 29. Juni dafür nutzen, Druck auf die wenigen TTIP-Skeptiker im Kreis der Staats- und Regierungschefs auszuüben. Zu erwarten ist, dass sich auch Bundeskanzler Christian Kern zur Haltung Österreichs äußern muss. TTIP gilt sowohl in linken Kreisen der SPÖ als auch in der ÖVP-nahen Bauernschaft als rotes Tuch. Fast ident ist die Situation in Frankreich, wo ebenfalls die Bauernschaft und der linke Flügel gegen TTIP mobilisieren.

Gelingt in Brüssel dennoch eine Annäherung, könnte ein Treffen zwischen US-Präsident Barack Obama, EU-Ratspräsident Donald Tusk und Juncker am Rande des Nato-Gipfels in Polen am 9. bis 11. Juli dafür genutzt werden, einen ehrgeizigen Zeitplan auszuloten. Ziel ist es, das Abkommen trotz aller Probleme noch in der Amtszeit von Obama durchzubringen.

Merkel drängt auf Tempo

Dass das überhaupt möglich ist, wird selbst in Kommissionskreisen angezweifelt. Zuletzt gab es kaum Fortschritte in den Verhandlungen. Die harte Gesprächskultur der Amerikaner hat zu Verstimmung in Brüssel geführt. EU-Agrarkommissar Phil Hogan ließ den Vertretern der Mitgliedstaaten über sein Kabinett ausrichten, die US-Verhandler versuchten, Zugeständnisse im Agrarbereich zu erpressen. Tatsächlich weisen die vor wenigen Wochen öffentlich gewordenen Dokumente über den Stand der TTIP-Verhandlungen auf solche Verknüpfungen hin. Uneinigkeit gibt es zudem über die von der EU-Kommission favorisierten offiziellen Schiedsgerichte statt der bisher in Handelsabkommen üblichen privaten Schlichtungsverfahren.

Deutschlands Bundeskanzlerin, Angela Merkel, will ebenso wie Juncker Tempo in die Verhandlungen bringen. Die EU müsse sich beeilen, da die USA bereits ein Abkommen mit Pazifikstaaten ausgehandelt habe, sagte sie vor wenigen Tagen bei einem Vortrag bei der Stiftung Familienunternehmen in Berlin. „Ich bin der Überzeugung, dass das Abkommen sehr viel mehr Vorteile als Nachteile bringt.“ Merkels Koalitionspartner, die SPD, ist deutlich skeptischer. Parteichef Sigmar Gabriel hält nichts davon, die Verhandlungen rasch zu einem Abschluss zu bringen. Er geht davon aus, dass erst nach der nächsten großen Verhandlungsrunde beurteilt werden kann, ob ein akzeptables Abkommen mit den USA überhaupt möglich ist. „Im Kern bin ich der Überzeugung: Gründlichkeit vor Schnelligkeit.“

Ein Vertrag mit weniger Inhalt, dafür schnell, ist auch für die USA inakzeptabel. Zum Ende der letzten Verhandlungsrunde im April betonten US-Vertreter, ein „TTIP light“ käme nicht infrage. Eine solche Idee wurde bereits mehrfach ins Spiel gebracht. Sie würde sensible Bereiche wie die Landwirtschaft oder Dienstleistungen vorerst ausnehmen und sich auf das Feld des Warenhandels konzentrieren.

Da es kaum noch Zölle zwischen den USA und der EU gibt, wäre ein solches Abkommen von geringer substanzieller Bedeutung. TTIP wurde von beiden Seiten angeregt, um beispielsweise auch das öffentliche Beschaffungswesen einzubeziehen. Gerade in diesem Bereich gibt es in den USA noch erhebliche Diskriminierungen von europäischen Unternehmen.

AUF EINEN BLICK

TTIP. Bei dem kommenden EU-Gipfel am 28. und 29. Juni in Brüssel will Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker alle Staats- und Regierungschefs auf Linie zu einer Unterstützung des Abkommens mit den USA bringen. In Deutschland machte zuletzt Bundeskanzlerin Angela Merkel Druck auf einen raschen Abschluss. Ihr Koalitionspartner SPD will hingegen auf Zeit setzen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2016)

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