Die EU? Wie die Habsburger vorm Untergang

(c) Bloomberg (Jasper Juinen)
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Londoner Wochenblätter empfehlen Gegensätzliches zum britischen Referendum: „The Spectator“, stets erzkonservativ, rät zum Brexit, sein linker Antagonist „New Statesman“ ringt sich zum Verbleib durch.

Nur ein Wort macht die Schlagzeile des aktuellen Londoner Wochenmagazins „The Spectator“ aus: „Out“ steht auf der Titelseite des konservativen Intellektuellen-Blattes über der Zeichnung eines Schmetterlings in den Farben der britischen Flagge. Dieser Union-Jack entfaltet sich aus einer zerfallenden blauen Kiste mit wenigen verbleibenden Sternen der Europafahne. Darunter ist zu lesen: „and into the world“. Der Austritt Großbritanniens aus der EU, über den an diesem Donnerstag die Wähler in einem Referendum befinden, wird hier also als Hoffnung verkauft: Raus ins Offene, „und hinaus in die Welt“! Die Zeitschrift, deren Herausgeber Tory-Politiker Boris Johnson war, ehe er 2008 Londoner Bürgermeister und zuletzt Brexit-Aktivist wurde, hält sich also an die Empfehlung ihres früheren Chefs.

Allerdings kann „The Spectator“ auf eine Tradition zurückgreifen, die das Blatt bereits vertrat, als Johnson noch ein Kind war. Die Schlagzeile ist eine hundertprozentige Wiederholung: „Out – and into the world“ hatte man bereits 1975 beim Referendum über Verbleib oder Austritt getitelt und blieb damals damit fast isoliert. Nur der sozialistische „Morning Star“ war ebenfalls für den Abschied aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), wie dieses Gebilde noch nach der ersten Erweiterung von sechs auf neun Staaten im Jahre 1973 hieß, ehe es sich, mit bereits zwölf Mitgliedsländern, in die Europäische Gemeinschaft bzw. Union entwickelte. Diese umfasst nun 28 Staaten.

Rechte Zuversicht: Souverän bleiben

Die Abstimmung ging 1975 übrigens eindeutig für die EWG aus, mit 67 zu 33 Prozent der Stimmen. Die Tories unter ihrer damaligen neuen Chefin Margaret Thatcher empfahlen so wie die Liberalen und die Mehrheit der Labour-Regierung den Verbleib. Der starke linke Flügel der Arbeiterpartei hingegen plädierte für den Exit. Auf einem Parteitag kurz vor dem Referendum im Juni sprach sich eine große Mehrheit der Labour-Delegierten gegen die weitere EWG-Mitgliedschaft aus. Man nannte sie die „Anti-Marketeers“.

Links und rechts aber scheinen in dieser Schlüsselfrage langfristig wenig auszusagen. Der „Spectator“ brüstet sich im aktuellen Leitartikel zwar damit, vor mehr als 150 Jahren ebenso isoliert gegen die Sklaverei in den USA, später für die Entkriminalisierung der Homosexualität und schließlich exklusiv für Thatcher als Front-Frau der Konservativen gewesen zu sein. Diesmal aber steht die Zeitschrift keinesfalls allein da, wenn es um Pro-Brexit geht. „The Sunday Telegraph“ und „The Sunday Times“ sind ebenfalls dafür, so wie die meisten Boulevardzeitungen, unter ihnen das größte Krawall-Blatt, „The Sun“.

Die wesentlichen Befürchtungen von 1975 seien eingetreten, heißt es im Leading Article des „Spectator“: Aus dem gemeinsamen Markt würde eine gemeinsame Regierung werden, das hätte desaströse Auswirkungen auf einen Kontinent, der sich durch seine glorreiche Diversität auszeichnet. Es werde Protektionismus geben statt einer „Umarmung der Welt“. Briten dächten an sich global. Die Schlagzeile von 1975 gelte noch immer: „We repeat that line today.“ Die EU sei heute dem untergehenden Reich der Habsburger ähnlich, mit aufgeblasener Bürokratie, die ihrem Nutzen längst entwachsen sei. Auch fehle der Union die demokratische Legitimation. Ihr wird Machthunger und Unfähigkeit unterstellt: „The EU's hunger for power has been matched only by its incompetence.“ Bezweifelt werden düstere ökonomische Prognosen, wenn es um die Auswirkungen des Brexit geht. Niemand wisse, wie sich der Austritt in fünfzehn Jahren auswirken werde. Und die EU sei außerdem eine Allianz der Unwilligen. Für Sicherheit in Europa sorge nicht diese „mit Abstand dysfunktionalste Organisation des Westens“, sondern die Nato. Das Plädoyer am Schluss ist ein nationales. Der Wert der Souveränität könne nicht mit der Formel eines Ökonomen berechnet werden.

Linke Ängste: „Britain on the Brink“

Was meint, so kurz vor dem Referendum, das Gegenstück zum „Spectator“, der recht weit links angesiedelte „New Statesman“? Auch dieses Blatt spielt auf der Titelseite mit dem Union Jack, aber die Sichtweise ist eine konträre – die britische Fahne löst sich von der Wand, auf der Rückseite sieht man den goldenen Sternenkranz der EU: „Britain on the Brink“ lautet der Titel. Das Land stehe also zumindest am Rand, wenn nicht am Abgrund: „Panic over the swing towards Brexit“ lautet die Losung der Sonderausgabe.

Im Leitartikel wird der Verbleib in der Gemeinschaft empfohlen, obwohl die EU eine „problembehaftete Institution“ sei. Der Preis für ein Nein sei zu hoch – mit sozialen Einschnitten von bis zu 40 Milliarden Pfund allein bis 2020 und vermindertem Wachstum. Befürchtet wird das Zerbrechen des United Kingdom, der hart errungene Friedensprozess in Nordirland sei gefährdet. Der Appell zum Verbleib richtet sich vor allem an das Stammpublikum marxistischer EU-Kritiker. Ein Exit könne rechte Populisten bis hin zu Faschisten stärken. Das sei nicht nur ein Albtraum für die Tories, sondern auch für Labour, heißt es alarmistisch. Out? Nein, es geht um ein Knock Out! [ Illustration: The Spectator ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2016)

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