Das britische Beispiel könnte auch auf dem Kontinent Schule machen. Die Rechtspopulisten fühlen sich bestärkt.
Marine Le Pen hat die engsten Mitarbeiter des Front National am Donnerstagabend in Paris zu einem Diner geladen, und die Tafel war mit der Trikolore und dem britischen Union Jack dekoriert. Florian Philippot, ihre rechte Hand, hatte schon frühzeitig einen Brexit prophezeit. „Ich habe die Übersicht verloren, wer mir Champagner, Schokolade oder ein Abendessen schuldet“, sagte der Vizechef der französischen Rechtspopulisten am Freitag in den frühen Morgenstunden, als sich der Pro-Brexit-Trend abzeichnete, angesichts der Vielzahl an Wetten, die er gewonnen hatte. Auch Le Pen ließ sich von der Euphorie der EU-Gegner jenseits des Ärmelkanals infizieren: „Was wir gestern noch als unmöglich angesehen haben, ist heute Realität geworden. Ein Sieg für die Freiheit.“
Aufgalopp in Österreich
In der Vorwoche hatte die Chefin des Front National beim von der FPÖ organisierten Patriotischen Frühling in der Pyramide in Vösendorf diesen Ausgang herbeigesehnt, verbunden mit dem Wunsch, dass das britische Beispiel auch auf dem Kontinent Schule machte: ein EU-Referendum in Frankreich und den anderen Mitgliedstaaten. 61 Prozent der Franzosen haben schließlich eine negative Meinung von der EU. 2005 haben die Franzosen die Volksabstimmung über die EU-Verfassung abgelehnt. „Frankreich hat 1000-mal mehr Gründe, die EU zu verlassen“, donnerte sie in Vösendorf mit dem Hinweis, dass die Briten weder Euro noch die Schengen-Zone hätten.
Le Pen erhofft sich von der Anti-EU-Stimmung im Land einen Auftrieb für ihre Kandidatur bei den Präsidentenwahlen im Frühjahr 2017. „Europa wird im Herzen der nächsten Präsidentschaftswahlen stehen.“ Die Achse Paris–Berlin war lange Zeit die treibende Kraft in der Europäischen Union, hat aber in den vergangenen Jahren schwere Dellen bekommen – auch aufgrund der politischen und ökonomischen Schwächung Frankreichs unter Präsident Francois Hollande.
„Es kann einen besonders gefährlichen Dominoeffekt geben“, konstatierte Dominique Moisi, ein französischer Politologe – freilich weniger in Frankreich, als vielmehr in den Niederlanden oder in Dänemark, Länder, in denen EU-Referenden in den vergangenen Jahren krachend gescheitert sind.
Das Rechtspopulisten-Treffen in der Vorwoche in Wien diente quasi als Aufgalopp: FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und sein Adlatus Harald Vilimsky zogen die Fäden für ein europäisches Netzwerk, in dem der Front National, die AfD, der Vlaams Belang, die Lega Nord und andere Parteien unter dem Motto „Europa der Vaterländer“ – ein Credo Charles de Gaulles – eingesponnen sind. Marine Le Pen schwebt ein „Europa à la carte“ vor.
Die EU habe sich als „komplettes Desaster“ erwiesen, lautete der Tenor – und am Freitag wurde überdies die Forderung nach einem Rücktritt der beiden „Buhmänner“ der EU laut, von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und Parlamentspräsident Martin Schulz. „Jetzt sind wir dran“, so der Ruf von den Niederlanden über Frankreich bis Italien. „Entgegen allen Unkenrufen kann es ein Leben nach der Europäischen Union geben“, hat der AfD-Politiker Marcus Pretzell jüngst schon in Wien konstatiert. Die deutschen Rechtspopulisten haben einen weiteren Sündenbock ausgemacht. „Ich glaube, Frau Merkel hat mit ihren offenen Grenzen die Briten aus der EU vertrieben“, urteilte AfD-Vizechef Alexander Gauland. Seine Kollegin Beatrix von Storch proklamierte im Jargon Boris Johnsons einen „Unabhängigkeitstag“ für Großbritannien.
„Bye bye Brüssel“
In den Niederlanden verfiel Geert Wilders in Jubel. „Hurra, Briten. Bye bye Brüssel“, twitterte er. „Wenn wir als Nation überleben wollen, müssen wir Immigration und Islamisierung stoppen“, forderte der radikale Islam-Kritiker. „Es lebe der Mut der freien Briten. Herz, Verstand und Stolz besiegen die Lügen, Drohungen und Erpressungen“, triumphierte in Italien Lega-Nord-Chef Matteo Salvini – beinahe unisono mit der Fünf-Sterne-Bewegung des Starkomikers Beppe Grillo. Die Grillini plädieren für eine Aufwertung der direkten Demokratie. „Die EU muss sich ändern, sonst stirbt sie“, postulierte Grillo.
Auch in Nordeuropa, insbesondere in Schweden und Dänemark, beflügeln die Anti-EU-Stimmung und das Migrationsthema rechtspopulistische Parteien wie die Schwedendemokraten. Wie Großbritannien haben auch Schweden und Dänemark die eigene Währung beibehalten, Stockholm und Kopenhagen sind eng mit London verflochten und unterhalten starke Handelsbeziehungen. Die EU-Skepsis ist weitverbreitet.
Just zur Verkündung des Brexit schwebte im Übrigen Donald Trump in Schottland ein, zur Wiedereröffnung seines umstrittenen Golfplatzes in Turnburry. Er ließ indes nicht die Gelegenheit verstreichen, das Resultat des britischen Votums zu würdigen. Der Immobilien-Tycoon und deklarierte EU-Kritiker sah sich bestätigt: Die Briten hätten die Kontrolle über ihr Land zurückgewonnen – und die USA würden bald folgen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)