Merkel in der Führungsrolle, doch noch ohne fixes Ziel

German Chancellor Merkel gives a statement in Berlin
German Chancellor Merkel gives a statement in Berlin(c) REUTERS (HANNIBAL HANSCHKE)
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Berlin übernimmt die Initiative beim Finden einer EU-Strategie für den weiteren Umgang mit den Briten.

Berlin. Gefasst, und doch gezeichnet. Als Angela Merkel Freitagmittag im Bundeskanzleramt ein Statement zum Brexit verliest, ist ihr der Schock anzumerken. „Es gibt nichts daran herumzureden: Der heutige Tag ist ein Einschnitt für Europa.“ Doch gleichzeitig signalisiert sie, dass Deutschland in dieser Krise der EU die Initiative ergreift. Mit einem von ihr initiierten Treffen mit Ratspräsidenten Donald Tusk, Frankreichs Staatspräsidenten François Hollande und Italiens Ministerpräsident Matteo Renzi am Montag in Berlin. Und einem Treffen der Außenminister der europäischen Gründerstaaten (Deutschland, Frankreich, Italien, Benelux) heute, Samstag, ebenfalls in Berlin.

Deutschland übernimmt also so etwas wie die Führungsrolle. Eine quasi natürliche Rolle, weil man mit dem Austritt der Briten noch mehr an Gewicht gewinnt. „Deutschland drängt sich nie nach der Führungsrolle, weil man auf die Befindlichkeiten der anderen Staaten schauen muss“, sagt Gunther Krichbaum, Vorsitzender des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union im Bundestag. „Aber wenn es von anderen gewünscht wird, wird man sich da sicher nicht verweigern.“ Klar sei aber, dass bei den Austrittsverhandlungen der Ball bei den EU-Institutionen liege. „Insofern ist die Gruppe der Gründerstaaten ein gutes Format, um Impulse zu liefern.“  

Wohin es genau gehen soll, das weiß man in Deutschland selbst noch nicht so genau. Momentan hat man nur ein Strategiepapier aus dem Finanzministerium, in dem vorgerechnet wird, dass Deutschland der Brexit jährlich rund drei Milliarden Euro kosten wird, weil damit der bislang drittgrößte Nettozahler wegfällt. Abgesehen davon ist Großbritannien mit einem Wert von fast 90 Mrd. Euro Deutschlands drittwichtigster Exportmarkt. All das mag mit ein Grund sein, warum Merkel es mit dem Abschluss der Austrittsverhandlungen nicht so eilig hat. Man müsse „mit Ruhe und Besonnenheit“ vorgehen und sich auf ein „mehrjähriges Verfahren“ einstellen.

Die Akteure der deutschen Innenpolitik reagierten fast durchwegs mit Entsetzen. Lediglich die AfD konnte die Genugtuung über den Sieg der Europaskeptiker nicht verbergen. „Die Europäische Union ist als politische Union gescheitert“, meinte Vizechefin Beatrix von Storch. Und eine Schuldige hat man auch schon gefunden – „Frau Merkel hat mit ihren offenen Grenzen die Briten aus der Europäischen Union vertrieben“, sagte Parteivize Alexander Gauland. Gleichzeitig gibt es in der AfD aber auch Bedauern – immerhin hatte man mit den Briten ein EU-Mitglied, das bei jeglicher Vertiefung der europäischen Integration regelmäßig bremste.

Mehr direkte Demokratie

Auch CSU-Vorsitzender Horst Seehofer bedauerte die Entscheidung der Briten. Allerdings drängt er darauf, bundesweite Volksabstimmungen wie eben jene über den Brexit, auch in Deutschland zuzulassen. Einig ist man sich offenbar, dass es so, wie es bisher war, mit der EU nicht weitergehen könne. Bundespräsident Joachim Gauck sagte, es müsse neu über Europa nachgedacht werden. Und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel zauberte mit EU-Parlamentspräsident Martin Schulz gleich ein Papier hervor – der Titel: „Europa neu gründen“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2016)

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