Brexit lässt bei Labour die Köpfe rollen

Jeremy Corbyn droht nach dem Brexit der Fall.
Jeremy Corbyn droht nach dem Brexit der Fall.APA/AFP/ODD ANDERSEN
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Parteichef Jeremy Corbyn vom linken Flügel der Oppositionspartei entließ seinen schärfsten Kritiker, den Parteirechten Hilary Benn

Nach dem Brexit-Votum ist in der britischen Labour-Partei ein offener Machtkampf entbrannt. Parteichef Jeremy Corbyn vom linken Flügel der Oppositionspartei entließ in der Nacht zum Sonntag seinen Schattenaußenminister, den Parteirechten Hilary Benn, nachdem dieser dessen Parteiführung heftig kritisiert hatte.

Schattenaußenminister Benn wiederum forderte andere Parteimitglieder auf zurückzutreten, sollte Corbyn nicht die Konsequenz aus der Brexit-Entscheidung ziehen und seinen Posten räumen.

Am Sonntag erklärte dann Labours gesundheitspolitische Sprecherin Heidi Alexander im Kurzbotschaftendienst Twitter ihren Rücktritt. In ihrem Schreiben an Corbyn heißt es, Großbritannien stehe nach der Entscheidung zum Austritt aus der Europäischen Union vor "beispiellosen Herausforderungen", und der Parteivorsitzende habe dafür nicht die geeigneten Antworten.

Rettung von Partei und Land

Laut Sky News erklärte am Sonntag auch die Schattentransportministerin Lilian Greenwood ihren Rücktritt. Die für Bildung zuständige Labour-Abgeordnete Lucy Powell nahm ebenfalls ihren Hut. Benn hatte erklärt, innerhalb der Labour-Fraktion im Parlament und im Schattenkabinett sei die Sorge über Corbyns Führung der Partei "weitverbreitet". Es bestehe unter den derzeitigen Umständen "kein Vertrauen", dass Labour die kommende Parlamentswahl gewinnen könne.

Die Labour-Abgeordnete Roberta Blackman-Woods bezeichnete Benns Entlassung auf Twitter als "traurige Nachricht". Ihr sei unverständlich, wie Corbyn glauben könne, "auf diese Art seine sich verschlechternde Position" in der Partei verbessern zu können. Ben Bradshaw, Labour-Abgeordneter und früherer Minister in den Kabinetten von Tony Blair und Gordon Brown, twitterte, das Schattenkabinett müsse nun "handeln, um die Partei und das Land zu retten".

Misstrauensantrag gegen Corbyn

Zwei Labour-Abgeordnete legten unterdessen einen Misstrauensantrag gegen Corbyn vor. Dieser wird voraussichtlich eine Fraktionssitzung von Labour am Montag dominieren. Corbyn ließ am Sonntag über einen Sprecher erklären, dass er keinesfalls gedenke zurückzutreten. "Jeremy Corbyn ist der demokratisch gewählte Vorsitzende der Labour-Partei und wird das bleiben", sagte der Sprecher.

Corbyn war im vergangenen September nach einer beispiellosen Mobilisierung der Basis zum neuen Labour-Chef gewählt worden. Als Abgeordneter hatte er früher gegen Blairs und Gordons Kriegseinsätze, gegen die Privatisierung staatlicher Betriebe und gegen Sozialkürzungen gestimmt. Nach seiner Wahl zum Vorsitzenden ging er bei der Zusammensetzung seines Schattenkabinetts aber Kompromisse mit dem rechten Parteiflügel ein.

Halbherziger "Remain"-Kämpfer

Corbyn, der sich während seiner Kandidatur zum Parteivorsitzenden nicht eindeutig zu einem möglichen EU-Austritt geäußert hatte, warb vor dem Brexit-Volksentscheid für den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union. Doch Kritiker vom rechten Flügel warfen ihm vor, dies nur halbherzig getan zu haben und dadurch für die Niederlage des "Remain"-Lagers beim Referendum am Donnerstag mitverantwortlich zu sein.

Bei dem Referendum hatte sich eine knappe Mehrheit von 52 Prozent für den Austritt ausgesprochen. Die Wahlbeteiligung lag bei gut 72 Prozent. 37 Prozent der Labour-Wähler hatten die Abstimmungsempfehlung der Parteiführung missachtet und für den Brexit votiert.

Unterdessen wächst die Zahl der Unterzeichner einer Online-Petition für ein neues Referendum minütlich. Bis Sonntagmittag gab es 3.175.644 Unterzeichner. Ziel der schon vor dem Referendum gestarteten Petition ist, dass ein Ergebnis nur dann verbindlich ist, wenn die Gewinnerseite mindestens 60 Prozent der Stimmen bekommen hat und die Wahlbeteiligung bei mindestens 75 Prozent lag. Das Parlament muss über jede auf ihrer Internetseite veröffentlichte Petition debattieren, die mehr als 100.000 Unterstützer hat.

(APA/AFP/dpa)

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