Brexit Szenario II: Der Zerfall

Brexit-Gegner und UKIP-EU-Abgeordneter Nigel Farage mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.
Brexit-Gegner und UKIP-EU-Abgeordneter Nigel Farage mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker.APA/AFP/JOHN THYS
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Das britische Referendum leitet den Zerfall Großbritanniens ein, bringt Marine Le Pen an die Macht – und zerstört langfristig die EU.

Wie wird es nach dem Brexit weitergehen mit der EU?
Mit einem Neubeginn der EU?
Oder doch eher mit dem Zerfall:

Der Brexit als Anfang vom Ende. Wer nach dem Ergebnis des britischen Referendums gedacht hat, die Schockwellen des Austritts aus der EU werden verebben, ohne größeren Schaden anzurichten, wird eines Besseren belehrt. Wovor im Vorfeld nur Experten gewarnt haben – dass auf den Prinzipien des gemeinsamen Binnenmarkts das Gebäude der europäischen Integration basiert –, wird der breiten Öffentlichkeit schmerzhaft bewusst.

Den Anfang machen dabei die Briten selbst. Nachdem klar geworden ist, dass die siegreichen Befürworter des EU-Austritts erstens keinen Plan für dessen Umsetzung haben und zweitens ihren Wähler das Blaue vom Himmel versprochen haben, brechen die regierenden Tories unter dem Gewicht ihrer inneren Widersprüche zusammen. Ähnlich ergeht es der Labour Party, die mit internen Grabenkämpfen zu beschäftigt ist, um sich um die Sorgen der Wähler zu kümmern. In dieses Vakuum stoßen zwei Personen vor: Nigel Farage von der Rechts-außenPartei UKIP, der den Briten – diesmal mit einiger Berechtigung – weismachen kann, sie seien von den Eliten in Westminster verraten und verkauft worden; sowie die schottische Regierungschefin, Nicola Sturgeon, die das Chaos in London nutzt, um Schottland aus dem Vereinigten Königreich zu führen.

Die Wirren bleiben nicht nur auf Großbritannien beschränkt. Nachdem das Machtvakuum jenseits des Ärmelkanals die EU dazu gezwungen hat, den Countdown für den Brexit unilateral einzuleiten, bricht ein Streit über den künftigen Kurs der EU los. Während Frankreich und Italien dazu drängen, die Eurozone zu einer Sozialunion (auf Kosten der deutschen Steuerzahler) umzubauen, kündigen Griechenland, Portugal und Spanien das, wie sie formulieren, „ungerechte Spardiktat“ der Brüsseler Erbsenzähler auf, während die Osteuropäer ihre Grenzen dicht machen, um sich vor etwaigen Flüchtlingsströmen zu schützen.

Heroischer Abwehrkampf

Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ratspräsident Donald Tusk und Kommissionschef Jean-Claude Juncker versuchen zwar heroisch, die Brände zu löschen, doch der Sieg von Marine Le Pen bei der französischen Präsidentenwahl im Frühjahr 2017 ist ein Schock zu viel. Die Chefin des Front National gibt der EU die Schuld am Chaos und verspricht, Frankreich aus der Europäischen Union zu führen. Assistiert wird ihr dabei vom neuen niederländischen Premier, Geert Wilders, der ebenfalls einen Nexit ankündigt. Der „patriotische Frühling der Völker“, den Le Pen im Jahr davor angekündigt hat, kann nun beginnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.06.2016)

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