Kommt der Ceta-Streit vor Gericht?

Das Abkommen der EU mit Kanada ist fertig ausverhandelt, nun ist ein Streit über die Ratifizierung ausgebrochen.
Das Abkommen der EU mit Kanada ist fertig ausverhandelt, nun ist ein Streit über die Ratifizierung ausgebrochen. (c) REUTERS (CHRIS WATTIE)
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Ob das als Blaupause für TTIP geltende Abkommen mit Kanada tatsächlich als „reiner Handelspakt“ klassifiziert werden kann, ist juristisch nicht eindeutig. EuGH könnte Klarheit schaffen.

Wien/Brüssel. Bis vor wenigen Tagen konnte ein Großteil der EU-Bürger mit dem sperrigen Begriff Ceta (Comprehensive Economic and Trade Agreement) nicht viel anfangen: Diese Zeiten sind nun vorbei. Heute ist das mit Kanada fertig ausverhandelte Abkommen fast so berühmt wie sein großer Bruder, der höchst umstrittene geplante EU-US-Freihandelspakt TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) – jedenfalls aber genauso unbeliebt.

Seit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Staats- und Regierungschefs beim EU-Gipfel diese Woche darüber informiert hatte, dass Ceta als reines Handelsabkommen nicht in den nationalen Parlamenten der Mitgliedstaaten ratifiziert werden muss, ist der Ärger in vielen EU-Hauptstädten groß. Nun kann der als Blaupause für TTIP geltende Vertrag als sogenanntes „EU only“-Abkommen voraussichtlich durch die alleinige Zustimmung von Rat und Europaparlament in Kraft treten – ein Prozedere, vor dem Freihandelsgegner seit Langem warnen. Doch die juristische Analyse der Brüsseler Behörde, auf deren Grundlage Junckers Argumentation fußt, ist strittig. Voraussetzung für die Klassifizierung als „reines Handelsabkommen“ ist nämlich, dass der Vertragsinhalt nicht über reine EU-Kompetenzen hinausgeht. Das ist laut dem Innsbrucker Europarechtler Walter Obwexer im Falle von Ceta zumindest bei zwei Punkten rechtlich nicht gesichert: So regelt der Pakt auch die Anerkennung von Berufsqualifikationen für Drittstaatsangehörige, in diesem Fall also Kanadier. Ob dieser Bereich nicht doch in die Kompetenz der Mitgliedstaaten fällt, könne nur ein Spruch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) abschließend klären. Ähnliches gilt für die Regelung ausländischer Direktinvestitionen, die ebenfalls Bestandteil des Vertrags sind.

Juncker überdenkt Pläne

Bisher, so Obwexer, habe der EuGH strittige Fälle wie diesen „eher unionsfreundlich“ ausgelegt – also dahingehend entschieden, dass der Beschluss auf EU-Ebene ausreicht. Derzeit prüft der Gerichtshof ein Handelsabkommen mit Singapur; die Entscheidung – sie ist nicht vor Anfang 2018 zu erwarten – könnte als Präzedenzfall für Ceta und TTIP herhalten und endgültig klären, ob es sich um „gemischte Abkommen“ handelt oder nicht.

So lange aber will die Kommission offenbar nicht warten. Kommenden Dienstag dürfte Juncker den weiteren Fahrplan präsentieren; bis dahin will er die Einbeziehung nationaler Parlamente wegen der lautstarken Proteste in Wien, Berlin und Paris noch einmal überdenken. Inzwischen formiert sich auch im Europaparlament Widerstand: Für den Handelsausschussvorsitzenden Bernd Lange (SPD) ist eine „breite Beteiligung der Parlamente in den EU-Ländern an Ceta unumgänglich“. Im Rat der Mitgliedstaaten ist zwar eine qualifizierte Mehrheit für die Absegnung von Handelsverträgen ausreichend; allerdings dürften einzelne EU-Länder den Beschluss notfalls rechtlich bekämpfen.

Für welchen Weg die Kommission sich nun entscheidet, „er wird auch auf TTIP umzulegen sein“, so Obwexer. Sollte der – noch zu verhandelnde – transatlantische Freihandelspakt ebenfalls als „EU only“-Abkommen behandelt werden, wird Österreich nach einer Ratifizierung auf EU-Ebene aber mit hoher Wahrscheinlichkeit vor den EuGH ziehen: Die Stimmung ist hierzulande besonders TTIP-kritisch; größte Streitpunkte sind die geplanten – auch bei Ceta enthaltenen – Investorenschutzabkommen sowie die gefürchtete Absenkung von Standards im Lebensmittel-, Umwelt- und Sozialbereich. Zur Erinnerung: Im Präsidentschaftswahlkampf präsentierten sich sowohl Alexander Van der Bellen als auch Norbert Hofer als entschiedene TTIP-Gegner; Letzterer hatte sogar eine Volksabstimmung versprochen.

Auf einen Blick

Ein juristisches Gutachten der EU-Kommission klassifiziert das ausverhandelte Freihandelsabkommen mit Kanada, Ceta, als reines Handelsabkommen: Als solches müsste es nur auf EU-Ebene, also im Rat der EU und im Europaparlament, abgesegnet werden, nicht in den nationalen Parlamenten der EU-Mitglieder. Diese Analyse ist strittig, Kommissionspräsident Juncker will über das weitere Vorgehen nachdenken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)

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